Offiziell wird erklärt, daß der neue Brennertunnel dazu diene, den Verkehr im Alpentransit
zwischen Bayern und Norditalien von der Straße auf die Schiene zu verlagern bzw.
zu verhindern, daß dieser Straßenverkehr weiter anwächst: "Ziel eines neuen Brennerschienenübergangs
ist es also, den heutigen Straßenverkehr auf diese Alpentransversale zu verlagern
und in Zukunft zumindest nicht weiter ansteigen zu lassen."
Durch die neue unterirdische Brennerstrecke soll die Geschwindigkeit der Güterzüge
auf 160 km/h und der Personenzüge sogar auf 250 km/h angehoben werden , während
die bestehende Trasse über den Brennerpaß wegen der zahlreichen engen Kurven fast
überall nur eine Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h zuläßt. Gleichzeitig sollen
durch den Brenner-Basistunnel die großen Steigungen der heutigen Paßstrecke abgeflacht
werden, die bis zu 25 Promille betragen, so daß schwerere Güterzüge verkehren
können. Heute werden aus jedem langen und schweren Güterzug (Bruttolast: 1.800 Tonnen)
vor Befahren dieser Steilstrecke entweder zwei relativ kurze und leichte Züge gemacht
oder es werden zumindest so viele Waggons abgehängt, daß die Gesamtmasse des
Zugs nicht mehr als 1.500 bis 1.600 Tonnen beträgt. Der Zug muß "geleichtert"
werden, wie es in der Eisenbahnersprache heißt. Dennoch wird in diesem Fall eine
Schiebe- oder Vorspannlok benötigt. Derartige betriebliche Hindernisse sollen durch
die geplante "Brenner-Flachbahn" beseitigt werden.
Vor allem aber soll die Kapazität der Brennerbahn (alte plus neue Bahnlinie) auf
400 Züge pro Tag erhöht werden - heute verkehren täglich nur rund 100 Züge über
den Brennerpaß.
Im Zusammenhang mit dem Brenner-Basistunnel werden auch zwei neue zweigleisige Zulaufstrecken
zum Nord- und zum Südportal dieses Tunnels geplant: aus dem Raum München/Rosenheim
durch das Unterinntal bis Innsbruck und von Verona durch das Etsch- und Eisacktal
über Trient - Bozen bis Franzensfeste. Im österreichischen Unterinntal sollen
88% der neuen Trasse unterirdisch verlaufen, die südliche Zulaufstrecke wird einen
Tunnelanteil von 68% aufweisen. Zusammen mit dem Brenner-Basistunnel wird die
gesamte neue Brennerachse von München bis Verona (409 km Länge) auf einer Länge
von 236 km (58%) aus Tunnels bestehen.
Für den Betrieb der alten und neuen Brennerbahn ist geplant, "auf der Neubaustrecke
vor allem den Transit-Güterverkehr und den Hochgeschwindigkeitsverkehr zu führen
und die Bestandsstrecke für den wesentlich leiseren Regionalverkehr freizuhalten." Das
bedeutet, daß auf den beiden neuen Gleisen ein Mischverkehr von 250 km/h schnellen
Personenzügen und Güterzügen stattfinden soll, deren Geschwindigkeit im Bereich
von 80 bis 120 km/h und vereinzelt auch bei 160 km/h liegt.
Im folgenden soll das gesamte Konzept des Brenner-Basistunnels einschließlich der
nördlichen und südlichen Zulaufstrecke kritisch hinterfragt und es sollen realisierbare
Alternativen aufgezeigt werden, die tatsächlich eine Problemlösung ermöglichen.
Der Grund für diese Praxis, durch die die Kapazität der Neubaustrecken weitgehend brach liegt und die geringen Einnahmen niemals die hohen Investitionskosten abdecken können, besteht darin, daß die langsamen Güterzüge die schnellen IC- und ICE-Züge behindern würden. Um diese Behinderungen zu vermeiden, wurden diese beiden Bahnstrecken zwar im Abstand von rund 20 km mit sogenannten Überholbahnhöfen versehen: Auf Ausweichgleise sollen langsam fahrende Güterzüge rechtzeitig anhalten, bevor sie ein schneller Zug eingeholt hat. Die Weiterfahrt des Güterzugs ist erst dann möglich, wenn der schnelle Zug an ihm vorbeigefahren ist, ihn also "überholt" hat. Aber durch diese Art von Überholmanöver wären die ohnedies langsamen Güterzüge noch länger unterwegs als bei der Benutzung der parallel verlaufenden alten Strecken, auf denen sie ungehindert vorankommen. Deshalb werden die mit großem Aufwand errichteten Überholbahnhöfe überhaupt nicht benutzt.
Der Managementberater Gottfried Ilgmann, der als Berater der Regierungskommission
Bahn wesentlich zum Gelingen der Bahnreform beigetragen hatte, bemerkt in einem
wissenschaftlichen Aufsatz hierzu: "Strecken, die im Mischverkehr mit Personenzügen
zwischen 160 km/h und 280 km/h einerseits und mit Güterzügen zwischen 80 und
120 km/h andererseits belegt sind, können nur einen Bruchteil der Zugfrequenz
aufnehmen wie Strecken, auf denen alle Züge mit einer vorgegebenen (harmonisierten)
Geschwindigkeit fahren." .
Auf den Brenner-Basistunnel übertragen, folgt daraus, daß diesen Tunnel fast nur
die schnellen - und relativ leisen - Personenzüge benutzen werden, aber alle langsamen
Züge auf der alten Bahnlinie verbleiben, wobei es sich hierbei nicht nur um "den
wesentlich leiseren Regionalverkehr" handeln wird, sondern vor allem um den extrem
lauten Güterverkehr, der weiterhin die Städte und Dörfer im Wipp- und Eisacktal
verlärmt.
Die Befürworter des Brenner-Basistunnel könnten nun argumentieren, daß die Güterzüge
durch diese Röhre ja in den Nachtstunden verkehren würden, während die Stunden
tagsüber im Tunnel für die Personenzüge reserviert seien, so daß sich beide Zuggattungen
nicht behindern würden. Diese "zeitliche Netztrennung" lehnt Ilgmann entschieden
ab: "Der Ansatz geht wie bei einer klassischen Behörde davon aus, daß sich
die Kundenwünsche an vorgegebener Bahnstrategie auszurichten haben. Es war jedoch
schon immer von Nachteil, den (terminsensiblen) Güterverkehr in eine derartige
Zwangsjacke zu stecken, die Abfertigungs- und Rangierleistungen auf wenige Stunden
eines Tages zu komprimieren (hohe Personal- und Anlagekosten) und den Wagenpark
nur über die Hälfte des Tages zu nutzen."
Diese Art von Güterverkehr führt sich
bei einer europaweiten Betrachtung (Verkehr mit Osteuropa, europäischer Binnenmarkt,
Brennerbahn als zentrale Transitstrecke) endgültig "ad absurdum: Ein Güterzug braucht
zum Durchfahren Deutschlands (plus Brennerachse, d. Verf.) mehr Zeit als ihm aufgrund
der zeitlichen Netztrennung zugestanden würde."
Gerade um auf die Bedürfnisse
der Kunden im Güterverkehr eingehen zu können, die sonst noch stärker als bisher
von der Konkurrenz, nämlich dem LKW, abgedeckt werden, müssen Güterzüge bei
Nacht und Tag fahren, und das heißt im Klartext: zumindest tagsüber weiterhin
die alte Inntal-, Brenner-, Eisack- und Etschtalstrecke benutzen. Auf der weitgehend
unterirdischen neuen Trasse fahren dann lediglich die internationalen Personenzüge,
von denen im Brenner-Basistunnel gerade 44 pro Tag prognostiziert werden
und allenfalls
noch 160 km/h schnelle Güterzüge, von denen es bei der Deutschen Bahn bundesweit
z. Zt. nur 4 Stück gibt - in Österreich und Italien fehlen solche Züge bisher
vollkommen.
Neue Brennerbahnlinie gar nicht voll güterzugtauglich
Zwischen dem Etschtal bei Bozen, das 230 Meter, und dem südlichen Ende des Brenner-Basistunnels
bei Franzensfeste, das 747 Meter über dem Meeresspiegel liegt, ist auf rund 40 km
Streckenlänge ein Höhenunterschied von über 500 Meter zu überwinden, so daß sich
eine kontinuierliche Steigung von rund 12 Promille ergibt: Eine solch lange Steigungsrampe
ist nicht mehr voll güterzugtauglich. Die üblichen Güterzüge mit bis zu 1.800
Tonnen Anhängelast müssen hierfür mit einer zweiten Lok versehen werden.
Somit ist die Güterzugtauglichkeit der neuen Brenner-Bahnlinie kaum höher als auf
der bestehenden Bahnlinie über den Brennerpaß: Auf dieser Strecke können mit einer
zweiten Lok 1.500 Tonnen schwere Güterzüge von Innsbruck nach Bozen und 1.600
Tonnen schwere Züge von Bozen nach Innsbruck verkehren oder die Züge müssen geteilt
werden.
Ähnlich niedrig sind die Zuwächse im Güterverkehr als Folge des Tunnels unter dem
Brenner: Wenn dieser Tunnel gebaut wird, sollen im Jahr 2010 ca. 17,3 Mio. Tonnen
an Gütern auf der Schiene über den Brenner transportiert werden , ohne Brenner-Tunnel
wären es rund 8,1 Mio. Tonnen
. Der Zuwachs, der durch das Tunnelbauwerk verursacht
wird, beträgt also nur ca. 9,2 Mio. Tonnen pro Jahr oder ca. 25.200 Tonnen/Tag.
Zum Transport dieser Gütermenge sind lediglich 21 zusätzliche Züge pro Tag erforderlich,
wenn man annimmt, daß bei zeitgemäßem Betrieb ein Güterzug auf der Brennerstrecke
eine Ladung von rund 1.200 Tonnen transportieren könnte. Und das bedeutet: Ungefähr
alle 2 1/2 Stunden muß ein zusätzlicher Güterzug je Richtung verkehren. Doch dies
wäre auch auf der bestehenden Paßstrecke leicht möglich.
Eine Faustregel besagt, daß auf einer normalen Eisenbahnstrecke, auf der langsame Güterzüge mit 100 km/h und Personenzüge mit 160 km/h fahren, 240 bis 330 Züge pro Tag verkehren können. Auf der Brenner-Paßstrecke dagegen verkehren alle Züge gleich langsam mit einer Maximalgeschwindigkeit von 80 km/h - mehr lassen die relativ engen Kurven in der Regel gar nicht zu. Durch diesen geschwindigkeitshomogenen Verkehr kann die Brennerpaß-Strecke rund das zwei- bis dreifache an Zügen gegenüber dem Mischverkehr verkraften (rund 600 Züge), wenn das Signalsystem und die Stromversorgung dieser Bahnlinie einen zeitgemäßen technischen Stand hätten und moderne E-Loks verwendet würden, die sowohl für das italienische Gleichstrom-System als auch das österreichisch-deutsche Wechselstrom-System geeignet sind. Das heißt, daß die Brenner-Paßstrecke prinzipiell in der Lage ist, den prognostizierten Güterverkehr im Jahr 2010 aufzunehmen.
Indem bei den Prognosen für den Güterverkehr selbst nach dem Bau des Brenner-Basistunnel nur Züge mit einer Ladung von 500 Tonnen zugrunde gelegt werden, führt sich dieses Projekt selbst ad absurdum. Denn ein Ziel dieses Bauwerks ("Brenner-Flachbahn") soll es gerade sein, daß durch das Abflachen der heutigen zu großen Steigungen in Zukunft normale lange und schwere Güterzüge, deren Bruttolast bei rund 1.800 Tonnen und deren Ladung bei ungefähr 1.200 Tonnen liegt, auf der Brennerstrecke verkehren können. Aber wenn auch nach Fertigstellung des Tunnels die Züge weiterhin nur durchschnittlich 500 Tonnen transportieren sollen, ist der ganze Brenner-Basistunnel überflüssig, denn derartige Leicht-Güterzüge sind für die heutige Steilstrecke typisch.
Auch im Güterverkehr ist es irrelevant, ob der Eisenbahn-Tunnel unter dem Brenner
gebaut wird oder nicht: Ohne Brenner-Tunnel werden im Jahr 2010 per Lkw 24,8
Mio. Tonnen Güter über den Brennerpaß und mit dem neuen Tunnel immer noch 23,2 Mio.
Tonnen befördert, also nur 6,5% weniger . Diese Zahl entspricht der Zunahme
der Gütertransporte via Brenner-Autobahn in 3 1/4 Jahren. Oder anders ausgedrückt:
Die Wirkung des Brenner-Tunnels bezüglich des angestrebten Rückgangs beim Lkw-Verkehr
ist bereits nach gut 3 Jahren kompensiert.
Das bedeutet, daß die Brenner-Autobahn im Vergleich zu heute durch den Eisenbahn-Tunnel
überhaupt nicht entlastet wird, ja, daß der Tunnel nicht einmal den zukünftigen Verkehrszuwachs
per Lkw verhindern wird. Das Ziel, dem der neue Tunnel dienen soll, nämlich "den
heutigen Straßenverkehr auf diese Alpentransversale zu verlagern und in Zukunft
zumindest nicht weiter ansteigen zu lassen" , wird also trotz eines immensen finanziellen
Aufwands von mindestens 40 Mrd. DM völlig verfehlt.
Die Fahrt von München in das nur 300 km entfernte Verona soll durch die neue Brennerbahn
zwar nur noch 2 Stunden 32 Minuten dauern , aber dies entspricht einer Durchschnittsgeschwindigkeit
bezogen auf die Luftlinie, von lediglich 118 km/h - trotz einer Höchstgeschwindigkeit
von 250 km/h.
Noch gravierender wirkt sich der Umweg der Brennerstrecke zwischen München und Mailand
und somit auch auf allen Relationen Richtung Turin, Genua und Riviera aus:
Die schnellste Verbindung München - Mailand über Verona dauert heute 6 Stunden
55 Minuten und mit dem Ausbau der Brennerachse von München bis Verona 158 Minuten
weniger , das entspricht einer Durchschnittsgeschwindigkeit bezogen auf die Luftlinie
von nicht mehr als 80 km/h. Diese Reisezeitverkürzungen sind zu niedrig, um Autofahrer,
die mit ihrem eigenen Wagen bequem, umzusteigefrei, ohne Wartezeiten oder Fußwege
von Haus zu Haus fahren können, zum Einstiegen in Eisenbahn-Züge zu ermuntern,
von Flugreisenden ganz zu schweigen.
Doch anstatt ab Augsburg eine Abkürzungsstrecke in Richtung Österreich/Italien zu planen, wird ernsthaft erwogen, für die Güterzüge aus/in Richtung Nürnberg zur Umfahrung des Engpasses München die Fahrtstrecke sogar noch weiter zu verlängern, und zwar durch eine Linienführung über Regensburg - Mühldorf - Rosenheim. Obendrein muß diese Umwegstrecke, die zwischen Landshut und Rosenheim nur eingleisig und nicht elektrifiziert ist, erst noch zweigleisig ausgebaut und mit Oberleitung ausgerüstet werden. Auf diese Weise wird die Fahrzeit von Nürnberg nach Innsbruck weiter verlängert anstatt verkürzt, so daß der Gütertransport per Bahn im Vergleich zum Lkw noch mehr ins Hintertreffen gerät.
Aber auch die südliche Zulaufstrecke von Verona zum Brenner-Basistunnel bildet einen Umweg für alle Hauptverkehrsströme, die aus dem Industriedreieck Mailand/Turin/Genua und der Riviera im Nordwesten, aus dem Industrie- und Feriengebiet Triest/Venedig/Adria im Nordosten Italiens und aus allen Teilen Italiens südlich Bologna und Florenz in Richtung Deutschland und umgekehrt verlaufen. Bezogen auf die Luftlinie liegt Verona bei allen diesen Relationen immer "daneben", die Fahrt über diese Stadt stellt einen Umweg dar. Somit dient die Brennerachse nur dem Verbindung München - Verona und den dazwischen liegenden Orten und Regionen, die jedoch durch die vorhandene Verkehrsinfrastruktur bereits hervorragend erschlossen sind.
Potentielle Eisenbahn-Fahrgäste, die es gewohnt sind, im eigenen Wagen auf dem Erdboden oder mit einer Airline sogar weit oberhalb und schon gar nicht unter der Erdoberfläche zu reisen, werden durch solch lange Tunnels geradezu abgeschreckt. Aber auch für die bisherigen Reisenden auf der fast durchgängig oberirdischen alten Brennerstrecke ist die weitgehend unterirdische Fahrt auf den neuen Gleisen alles andere als einladend. Die meisten Urlaubsreisenden wollen nämlich bei ihrer Fahrt durch die Alpen die herrliche Bergwelt sehen und nicht nur schwarze, eintönige Tunnelwände, die statt einem interessanten, angenehmen Erlebnis zu andauernden Frustrationen führen. Deshalb wird in Wirklichkeit die Zahl der Fahrgäste sogar niedriger sein als die ohnedies schon geringen Prognosewerte, bei denen psychologische Aspekte völlig außer acht gelassen werden.
Die Brennerachse bekommt zusätzlich zur NEAT auch im Osten eine starke Konkurrenz, und zwar durch den bereits weitgehend abgeschlossenen Aus- und Neubau der Bahnlinie Venedig -/ Triest - Udine - Pontebba - Villach. Zusammen mit dem zur Zeit stattfindenden Ausbau der Bahnstrecken von Villach nach Salzburg (Tauernbahn) und nach Linz (über Schoberpaß und Pyhrn) sowie der beschlossenen neuen Semmeringbahn nach Wien entstehen sehr leistungsfähige Verbindungen von Italien und seinen wichtigen Adriahäfen nach Österreich, Ostdeutschland, Ungarn, Polen, in die Tschechische und Slowakische Republik. Hierbei erhält besonders der Güterverkehr in der Achse Berlin - Dresden - Prag - Linz - Villach - Venedig /-Triest eine ideale Trasse, die sehr flach ist und beide Mittelmeerhäfen auf kürzestem Weg, nämlich fast auf der Luftlinie, erreicht. Für alle genannten Relationen würde hingegen die Fahrt über den Brenner einen zeitraubenden und kostspieligen Umweg bedeuten.
Da das Unterinntal und das Etschtal - ebenso wie das Wipptal oder das Eisacktal - einer geologischen Störzone folgen, ist bei den Tunnels der nördlichen und südlichen Zulaufstrecke (Gesamtlänge: 181 km) ebenfalls mit erheblichen geologischen Schwierigkeiten zu rechnen.
Die Baukosten können sich durch eine ungünstige Geologie verdoppeln und stellenweise sogar verzehnfachen. Verdoppelt sich die Bauzeit, weil die Tagesleistung in Metern nur halb so hoch ist wie erhofft, so vervielfachen sich allein schon deshalb die Kosten, weil über einen wesentlich längeren Zeitraum die Investitionen vorfinanziert werden müssen, denn man erhält bekanntlich erst dann Erlöse, wenn der Tunnel ganz fertiggestellt ist und der erste Zug tatsächlich fährt. Hinzu kommen die entsprechend der längeren Bauzeit erhöhten Kosten für die Löhne der am Tunnelbau beteiligten Arbeitskräfte und für die verlängerte Einsatzzeit der Baumaschinen.
Angesichts der bereits bekannten und der noch zu erwartenden geologischen Probleme stellen die für den Brenner-Basistunnel und die Zulaufstrecken derzeit veranschlagten Kosten von 40 Mrd. DM allenfalls einen unteren Eckwert dar. Der tatsächliche finanzielle Aufwand dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit bei 50 bis 75 Mrd. DM liegen, also rund zwei- bis dreimal so hoch wie offiziell angegeben.
Nach dem Ausbau der Gesamtstrecke München - Verona soll der Personenverkehr auf der
Schiene im Jahr 2015 um 1,2 Mio. Reisenden pro Jahr zunehmen . Geht man davon
aus, daß 1/3 der Kosten der neuen Bahnlinie auf die zusätzlichen Reisenden umgelegt
werden, so ergibt sich im günstigsten Fall ein Marktpreis für die Hin- und
Rückfahrkarte München - Verona von 1100 DM.
Heute kostet die Fahrkarte nur rund
ein Zehntel.
Es stellt sich daher die Frage, ob sich private Geldgeber finden werden, wenn man Ihnen verspricht, für 100 investierte DM in Zukunft 1 bis 10 DM zu erhalten, also 90 bis 99 DM "in den Wind zu schreiben". Ein privater Geldgeber investiert sein Geld vielmehr nur dann, wenn er durch die Investition die berechtigte Hoffnung hat, in Zukunft mehr Geld zu erhalten, als wenn er das Geld in festverzinslichen Wertpapieren anlegt. Schließlich trägt er das Risiko der Investition.
Die Alternative zur unrealistischen Finanzierung durch private Geldgeber wäre, daß die drei am Projekt Brenner-Tunnel beteiligten Staaten Deutschland, Österreich und Italien oder daß die EG die notwendige Summe von 40 bis 70 Mrd. DM aufbringt. Doch angesichts der hohen Staatsverschuldung und der immer größeren Finanzknappheit des EG-Haushalts ist eine solche Finanzierung mit öffentlichen Mitteln erst recht illusorisch.
Als nördliche Zulaufstrecke von München aus ist eine für den Personen- und Güterverkehr
taugliche, oberirdische Neubaustrecke von Zorneding, vorbei an der Kurstadt Bad Aibling,
bis Brannenburg vorgesehen. Da die bestehende Bahnlinie mit ihren relativ engen
Kurvenradien schon aus vielen großen Einschnitten und Dämmen besteht, läßt sich
erahnen, welche gewaltigen Landschaftsveränderungen für eine parallel verlaufende,
mit dem Lineal gezogene Hochgeschwindigkeitstrasse zwischen Zorneding und
Bad Aibling erforderlich sind. Im weiteren Streckenverlauf müssen schützenswerte
Moorgebiete gequert werden und es entsteht eine Zerschneidung von Wiesen, Äckern
und Wäldern in einer Landschaft mit hohem Erholungs- und Wohnwert.
Die ursprüngliche Vorstellung vieler bayerischer Politiker, eine schnellere Bahnverbindung
nach Süden zu erhalten, und hierbei auf bayerischem Boden mit einer Sanierung
bzw. Modernisierung der bestehenden Strecke auskommen zu können, verkehrt sich so
ins Gegenteil: Nirgendwo sonst auf der Gesamtstrecke München - Verona verläuft
die neue Bahnlinie auf einem so langen Abschnitt oberirdisch, nirgendwo sonst zwischen
München und Verona, nur im bayerischen Voralpenland, ist eine völlige Veränderung
der Landschaft auf 50 km Länge beabsichtigt.
Gegen den Bau von Tunnels sprechen aus ökologischer Sicht gleich mehrere Argumente:
Doch Überlegungen, die sich grundsätzlich mit der Linienführung zwischen Südbayern und Norditalien auseinandersetzen und eine ökonomisch, ökologisch und fahrgastpsychologisch optimale Lösung anstreben, scheinen bei der aktuellen Planung der "neuen Brennerachse" keine Rolle gespielt zu haben. Weder wurde der klassische Umweg-Streckenverlauf über Rosenheim - Kufstein - Innsbruck - Brixen - Bozen kritisch hinterfragt noch die nördlichen und südlichen Endpunkte München und Verona. Zumindest findet sich an keiner Stelle eine Begründung, weshalb man auch für einen vollkommen neuen Schienenweg durch die Alpen ausgerechnet an der Brennerachse festhält, die lediglich historisch begründbar ist.
Als Mitte des 19. Jahrhunderts die heutige Brennerstrecke (Eröffnung: 1867) geplant wurde, war es aus der damaligen Sicht zweifellos sinnvoll, den (Um-) Weg durch das Unterinntal, das Wipptal, über den relativ niedrigen Brennerpaß, durch das Eisacktal und das Etschtal zu wählen. Auf diese Weise konnte die Länge aller Tunnels minimiert werden, deren Bau damals technisch sehr schwierig gewesen war: Von München bis Innsbruck, also auf einer Gesamtlänge von 172 km, war kein einziger Tunnel erforderlich, und im 147 km langen Abschnitt von Bozen bis Verona nur ein Tunnel von knapp 500 Meter Länge. Lediglich auf der 127 km langen Paßstrecke zwischen Innsbruck und Bozen mußten 17 sehr kurze Tunnels von zusammen rund 5 km Länge gebohrt werden, wobei der Brenner selbst völlig oberirdisch passiert werden konnte - für die Zentralalpen und den Alpenhauptkamm eine einmalig günstige Situation.
Der Tunnelanteil auf der alten, 446 km langen Brennerachse von München bis Verona beträgt nur 1% der gesamten Trasse. Man kann somit diese Bahnverbindung aus gutem Grund als Tunnel-Vermeidungsstrecke bezeichnen. So gesehen, ist der große Umweg von fast 150 km zwischen München und Verona aufgrund der kostengünstigen Trassenführung durch die langen Gebirgstäler durchaus zu vertreten. Im krassen Gegensatz dazu verläuft die neue Verbindung zu 58% unterirdisch und bildet dennoch immer noch einen zeitraubenden Umweg von über 100 km Länge. Bei kaum einer anderen Querung der Zentralalpen und bei kaum einem anderen Trassenverlauf wäre eine so große Tunnellänge zu erreichen. Dieser Linienverlauf stellt somit geradezu eine "Tunnel-Maximierungsstrecke" dar, die gleichermaßen ein Maximum an Kosten verursacht.
Wenn man die neue Bahnlinie auf der Luftlinie München - Verona, also ohne Umweg über
Kiefersfelden/Kufstein bauen und dennoch unbedingt dieselbe Tunnelstrecke von
236 km Gesamtlänge wie bei der aktuellen Planung erzielen wollte, so würde ein
einziger Tunnel von Eschenlohe bis Verona entstehen, aber immerhin könnte die Streckenlänge
um rund 100 km abgekürzt werden, was zu einer deutlich kürzeren Fahrzeit und
zu niedrigeren Baukosten führen würde. Eine solche Lösung wäre zweiffelos wirtschaftlicher
und etwas umweltverträglicher als die aktuelle Planung. Ein ähnlicher Vorschlag
soll im folgenden beschrieben und diskutiert werden.