Homepage zurück vorwärts Inhalt Stichwörter

Neue Brennerachse




weiter mit:

EG-Tunnel

Ziele der neuen Brennerachse

Seit Mitte der achtziger Jahre wird in der Öffentlichkeit der Brenner-Basistunnel diskutiert, der von Politikern, Eisenbahn-Verwaltungen und Bauunternehmen propagiert wird. Mit diesem Eisenbahn-Tunnel sollen die rapide zunehmenden Probleme beseitigt werden, die der Straßenverkehr in der Relation Südbayern - Tirol - Norditalien auf der Brenner-Route für die betroffene Bevölkerung und die Natur verursacht. Der Lärm, den insbesondere bis zu 8.000 Lkws pro Tag auf der Inntal-Brenner-Autobahn erzeugen, beeinträchtigt die Lebensqualität und die Erholungsfunktion im Inn-, Wipp- und Eisacktal immer stärker. Das Volumen im Straßengüterverkehr über den Brenner ist heute mehr als dreißigmal so hoch wie 1960, während es bei der Brenner-Eisenbahn fast gleich geblieben ist und inzwischen nur noch ein Viertel der Gütermenge beträgt, die per Lkw über den Brennerpaß transportiert wird. Im Personenverkehr ist das Verhältnis noch ungünstiger für die Bahn: Ungefähr achtmal so viele Personen wie mit dem Zug fahren inzwischen im Transit Deutschland - Italien auf Autobahn und Bundesstraße über den Brenner.
Damit die Schiene gegenüber der Straße auf dieser Route nicht noch mehr ins Abseits gerät, wurde im Auftrag der Verkehrsminister von Deutschland, Österreich und Italien 1989 eine Studie mit dem Titel "Eisenbahnübergang Brenner" erstellt, in der die technische Machbarkeit eines Basistunnels von ca. 55 km Länge mit zwei Gleisen zwischen Innsbruck und Franzensfeste nachgewiesen wurde.*
Dieser Brenner-Basistunnel bildet den ersten Abschnitt des "viergleisigen Ausbaus der Nord-Süd-Magistrale München - Verona"* .

Offiziell wird erklärt, daß der neue Brennertunnel dazu diene, den Verkehr im Alpentransit zwischen Bayern und Norditalien von der Straße auf die Schiene zu verlagern bzw. zu verhindern, daß dieser Straßenverkehr weiter anwächst: "Ziel eines neuen Brennerschienenübergangs ist es also, den heutigen Straßenverkehr auf diese Alpentransversale zu verlagern und in Zukunft zumindest nicht weiter ansteigen zu lassen."*

Durch die neue unterirdische Brennerstrecke soll die Geschwindigkeit der Güterzüge auf 160 km/h und der Personenzüge sogar auf 250 km/h angehoben werden* , während die bestehende Trasse über den Brennerpaß wegen der zahlreichen engen Kurven fast überall nur eine Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h zuläßt. Gleichzeitig sollen durch den Brenner-Basistunnel die großen Steigungen der heutigen Paßstrecke abgeflacht werden, die bis zu 25 Promille betragen, so daß schwerere Güterzüge verkehren können. Heute werden aus jedem langen und schweren Güterzug (Bruttolast: 1.800 Tonnen) vor Befahren dieser Steilstrecke entweder zwei relativ kurze und leichte Züge gemacht oder es werden zumindest so viele Waggons abgehängt, daß die Gesamtmasse des Zugs nicht mehr als 1.500 bis 1.600 Tonnen beträgt. Der Zug muß "geleichtert" werden, wie es in der Eisenbahnersprache heißt. Dennoch wird in diesem Fall eine Schiebe- oder Vorspannlok benötigt. Derartige betriebliche Hindernisse sollen durch die geplante "Brenner-Flachbahn" beseitigt werden.

Vor allem aber soll die Kapazität der Brennerbahn (alte plus neue Bahnlinie) auf 400 Züge pro Tag erhöht werden* - heute verkehren täglich nur rund 100 Züge über den Brennerpaß.

Im Zusammenhang mit dem Brenner-Basistunnel werden auch zwei neue zweigleisige Zulaufstrecken zum Nord- und zum Südportal dieses Tunnels geplant: aus dem Raum München/Rosenheim durch das Unterinntal bis Innsbruck und von Verona durch das Etsch- und Eisacktal über Trient - Bozen bis Franzensfeste. Im österreichischen Unterinntal sollen 88% der neuen Trasse unterirdisch verlaufen, die südliche Zulaufstrecke wird einen Tunnelanteil von 68% aufweisen. Zusammen mit dem Brenner-Basistunnel wird die gesamte neue Brennerachse von München bis Verona (409 km Länge) auf einer Länge von 236 km (58%) aus Tunnels bestehen.*

Für den Betrieb der alten und neuen Brennerbahn ist geplant, "auf der Neubaustrecke vor allem den Transit-Güterverkehr und den Hochgeschwindigkeitsverkehr zu führen und die Bestandsstrecke für den wesentlich leiseren Regionalverkehr freizuhalten."* Das bedeutet, daß auf den beiden neuen Gleisen ein Mischverkehr von 250 km/h schnellen Personenzügen und Güterzügen stattfinden soll, deren Geschwindigkeit im Bereich von 80 bis 120 km/h und vereinzelt auch bei 160 km/h liegt.

Im folgenden soll das gesamte Konzept des Brenner-Basistunnels einschließlich der nördlichen und südlichen Zulaufstrecke kritisch hinterfragt und es sollen realisierbare Alternativen aufgezeigt werden, die tatsächlich eine Problemlösung ermöglichen.

Probleme der neuen Brennerachse

Der geplante Mischbetrieb mit Hochgeschwindigkeitszügen (Maximalgeschwindigkeit: 250 km/h) und relativ langsamen Güterzügen (Geschwindigkeitsbereich: 80 bis 120 km/h, in Ausnahmefällen auch 160 km/h) ist, wie die Erfahrungen der Deutschen Bahn mit den beiden Neubaustrecken Hannover - Würzburg und Mannheim - Stuttgart zeigen, aufgrund der großen Geschwindigkeitsunterschiede nicht praktikabel: Auf den neuen Gleisen zwischen Mannheim und Stuttgart hat bisher überhaupt kein Güterverkehr stattgefunden, vielmehr befahren die Güterzüge wie vor dem Bau der neuen Trasse weiterhin die alten Gleise; auf der neuen Linie von Hannover nach Würzburg fahren täglich nur rund 50 Güterzüge, und dies auch nur während weniger Nachtstunden, so daß bei letzterer Strecke zumindest eine zeitliche Trennung der Züge aufgrund ihrer Geschwindigkeit vorgenommen wird. Lediglich die 200 km/h schnellen IC-und IR-Züge sowie die 250 km/h schnellen ICEs benutzen tagsüber die extra für schwere Güterzüge besonders aufwendig gebauten Trassen.

Der Grund für diese Praxis, durch die die Kapazität der Neubaustrecken weitgehend brach liegt und die geringen Einnahmen niemals die hohen Investitionskosten abdecken können, besteht darin, daß die langsamen Güterzüge die schnellen IC- und ICE-Züge behindern würden. Um diese Behinderungen zu vermeiden, wurden diese beiden Bahnstrecken zwar im Abstand von rund 20 km mit sogenannten Überholbahnhöfen versehen: Auf Ausweichgleise sollen langsam fahrende Güterzüge rechtzeitig anhalten, bevor sie ein schneller Zug eingeholt hat. Die Weiterfahrt des Güterzugs ist erst dann möglich, wenn der schnelle Zug an ihm vorbeigefahren ist, ihn also "überholt" hat. Aber durch diese Art von Überholmanöver wären die ohnedies langsamen Güterzüge noch länger unterwegs als bei der Benutzung der parallel verlaufenden alten Strecken, auf denen sie ungehindert vorankommen. Deshalb werden die mit großem Aufwand errichteten Überholbahnhöfe überhaupt nicht benutzt.

Der Managementberater Gottfried Ilgmann, der als Berater der Regierungskommission Bahn wesentlich zum Gelingen der Bahnreform beigetragen hatte, bemerkt in einem wissenschaftlichen Aufsatz hierzu: "Strecken, die im Mischverkehr mit Personenzügen zwischen 160 km/h und 280 km/h einerseits und mit Güterzügen zwischen 80 und 120 km/h andererseits belegt sind, können nur einen Bruchteil der Zugfrequenz aufnehmen wie Strecken, auf denen alle Züge mit einer vorgegebenen (harmonisierten) Geschwindigkeit fahren."* .

Auf den Brenner-Basistunnel übertragen, folgt daraus, daß diesen Tunnel fast nur die schnellen - und relativ leisen - Personenzüge benutzen werden, aber alle langsamen Züge auf der alten Bahnlinie verbleiben, wobei es sich hierbei nicht nur um "den wesentlich leiseren Regionalverkehr" * handeln wird, sondern vor allem um den extrem lauten Güterverkehr, der weiterhin die Städte und Dörfer im Wipp- und Eisacktal verlärmt.

Die Befürworter des Brenner-Basistunnel könnten nun argumentieren, daß die Güterzüge durch diese Röhre ja in den Nachtstunden verkehren würden, während die Stunden tagsüber im Tunnel für die Personenzüge reserviert seien, so daß sich beide Zuggattungen nicht behindern würden. Diese "zeitliche Netztrennung"* lehnt Ilgmann entschieden ab: "Der Ansatz geht wie bei einer klassischen Behörde davon aus, daß sich die Kundenwünsche an vorgegebener Bahnstrategie auszurichten haben. Es war jedoch schon immer von Nachteil, den (terminsensiblen) Güterverkehr in eine derartige Zwangsjacke zu stecken, die Abfertigungs- und Rangierleistungen auf wenige Stunden eines Tages zu komprimieren (hohe Personal- und Anlagekosten) und den Wagenpark nur über die Hälfte des Tages zu nutzen."* Diese Art von Güterverkehr führt sich bei einer europaweiten Betrachtung (Verkehr mit Osteuropa, europäischer Binnenmarkt, Brennerbahn als zentrale Transitstrecke) endgültig "ad absurdum: Ein Güterzug braucht zum Durchfahren Deutschlands (plus Brennerachse, d. Verf.) mehr Zeit als ihm aufgrund der zeitlichen Netztrennung zugestanden würde."* Gerade um auf die Bedürfnisse der Kunden im Güterverkehr eingehen zu können, die sonst noch stärker als bisher von der Konkurrenz, nämlich dem LKW, abgedeckt werden, müssen Güterzüge bei Nacht und Tag fahren, und das heißt im Klartext: zumindest tagsüber weiterhin die alte Inntal-, Brenner-, Eisack- und Etschtalstrecke benutzen. Auf der weitgehend unterirdischen neuen Trasse fahren dann lediglich die internationalen Personenzüge, von denen im Brenner-Basistunnel gerade 44 pro Tag prognostiziert werden * und allenfalls noch 160 km/h schnelle Güterzüge, von denen es bei der Deutschen Bahn bundesweit z. Zt. nur 4 Stück gibt - in Österreich und Italien fehlen solche Züge bisher vollkommen.

Neue Brennerbahnlinie gar nicht voll güterzugtauglich

Zwischen dem Etschtal bei Bozen, das 230 Meter, und dem südlichen Ende des Brenner-Basistunnels bei Franzensfeste, das 747 Meter über dem Meeresspiegel liegt, ist auf rund 40 km Streckenlänge ein Höhenunterschied von über 500 Meter zu überwinden, so daß sich eine kontinuierliche Steigung von rund 12 Promille ergibt: Eine solch lange Steigungsrampe ist nicht mehr voll güterzugtauglich.* Die üblichen Güterzüge mit bis zu 1.800 Tonnen Anhängelast müssen hierfür mit einer zweiten Lok versehen werden.
Somit ist die Güterzugtauglichkeit der neuen Brenner-Bahnlinie kaum höher als auf der bestehenden Bahnlinie über den Brennerpaß: Auf dieser Strecke können mit einer zweiten Lok 1.500 Tonnen schwere Güterzüge von Innsbruck nach Bozen und 1.600 Tonnen schwere Züge von Bozen nach Innsbruck verkehren oder die Züge müssen geteilt werden.

In der Brenner-Machbarkeitsstudie wurden die durch den Gesamtausbau der Strecke München - Verona erzielbaren Verkehrszuwächse prognostiziert:
So wird angenommen, daß die Zahl der Bahnreisenden aufgrund der Fahrzeitverkürzungen von ca. 1,4 Mio. im Jahre 1985 auf rund 2,6 Mio. im Jahr 2015* zunehmen werde, eine Steigerung also um etwa 1,2 Mio. jährlich. Das heißt, daß durch dieses kostspielige Projekt lediglich rund 3.300 zusätzliche Fahrgäste pro Tag zu erwarten sind, zu deren Beförderung zwei bis drei Züge je Richtung genügen würden. Bei diesen Zahlen wird davon ausgegangen, daß bis 2015 auch der neue Gotthard-Tunnel fertiggestellt ist* , an dem in der Schweiz bereits unter Hochdruck gearbeitet wird.

Ähnlich niedrig sind die Zuwächse im Güterverkehr als Folge des Tunnels unter dem Brenner: Wenn dieser Tunnel gebaut wird, sollen im Jahr 2010 ca. 17,3 Mio. Tonnen an Gütern auf der Schiene über den Brenner transportiert werden * , ohne Brenner-Tunnel wären es rund 8,1 Mio. Tonnen* . Der Zuwachs, der durch das Tunnelbauwerk verursacht wird, beträgt also nur ca. 9,2 Mio. Tonnen pro Jahr oder ca. 25.200 Tonnen/Tag. Zum Transport dieser Gütermenge sind lediglich 21 zusätzliche Züge pro Tag erforderlich, wenn man annimmt, daß bei zeitgemäßem Betrieb ein Güterzug auf der Brennerstrecke eine Ladung von rund 1.200 Tonnen transportieren könnte. Und das bedeutet: Ungefähr alle 2 1/2 Stunden muß ein zusätzlicher Güterzug je Richtung verkehren. Doch dies wäre auch auf der bestehenden Paßstrecke leicht möglich.

Von seiten der Brennertunnel-Befürworter wird inzwischen jedoch folgendermaßen argumentiert: "Diese 1991 veröffentlichte Prognose hatte u. a. die inzwischen vollzogene Ost-Öffnung, die Transitverträge Österreichs und der Schweiz mit der EU sowie die deutsche Wiedervereinigung nicht berücksichtigt. Deshalb wurde 1992 von den ÖBB eine Überarbeitung beauftragt, die als Ergebnis für 2010 deutlich höhere Verkehrsaufkommen ausweist."* Diese neuen Prognosezahlen beinhalten, daß durch den Tunnel plus auf der Altstrecke zwischen Innsbruck und Franzensfeste im Jahr 2010 insgesamt 246 Güterzüge verkehren werden* , denen jedoch lediglich "ein durchschnittlicher Beförderungswert von 500 Tonnen pro grenzüberschreitendem Güterzug"* zugebilligt wird, also weniger als die Hälfte der Kapazität, die ein moderner Güterzug mit rund 1.200 Tonnen Ladung besitzt. Nimmt man deshalb an, daß statt der 500-Tonnen-Kurzgüterzüge normal lange und normal schwere Güterzüge mit einer Ladung von 1.200 Tonnen verkehren werden - entweder durch den extra hierfür flach trassierten Brenner-Basistunnel oder auf der Bergstrecke mit Hilfe zusätzlicher Vorspann-, Schiebe- und Zwischenloks -, so reichen für diese geringe Transportmenge* ganze 103 Güterzüge aus. Oder umgerechnet: Bei einem zeitgemäßen Betrieb ist das Transportvolumen, das mit Hilfe des Brenner-Basistunnel erst erreicht werden soll, so gering, daß pro Stunde und Richtung ungefähr 2 Güterzüge genügen. Hinzu kommen dann noch insgesamt 72 Personenzüge* , was im Tagesdurchschnitt weitere 1 1/2 Züge pro Stunde und Richtung ergibt. In der Summe lassen sich hieraus gerade 175 Züge/Tag errechnen.

Eine Faustregel besagt, daß auf einer normalen Eisenbahnstrecke, auf der langsame Güterzüge mit 100 km/h und Personenzüge mit 160 km/h fahren, 240 bis 330 Züge pro Tag verkehren können. Auf der Brenner-Paßstrecke dagegen verkehren alle Züge gleich langsam mit einer Maximalgeschwindigkeit von 80 km/h - mehr lassen die relativ engen Kurven in der Regel gar nicht zu. Durch diesen geschwindigkeitshomogenen Verkehr kann die Brennerpaß-Strecke rund das zwei- bis dreifache an Zügen gegenüber dem Mischverkehr verkraften (rund 600 Züge), wenn das Signalsystem und die Stromversorgung dieser Bahnlinie einen zeitgemäßen technischen Stand hätten und moderne E-Loks verwendet würden, die sowohl für das italienische Gleichstrom-System als auch das österreichisch-deutsche Wechselstrom-System geeignet sind. Das heißt, daß die Brenner-Paßstrecke prinzipiell in der Lage ist, den prognostizierten Güterverkehr im Jahr 2010 aufzunehmen.

Indem bei den Prognosen für den Güterverkehr selbst nach dem Bau des Brenner-Basistunnel nur Züge mit einer Ladung von 500 Tonnen zugrunde gelegt werden, führt sich dieses Projekt selbst ad absurdum. Denn ein Ziel dieses Bauwerks ("Brenner-Flachbahn") soll es gerade sein, daß durch das Abflachen der heutigen zu großen Steigungen in Zukunft normale lange und schwere Güterzüge, deren Bruttolast bei rund 1.800 Tonnen und deren Ladung bei ungefähr 1.200 Tonnen liegt, auf der Brennerstrecke verkehren können. Aber wenn auch nach Fertigstellung des Tunnels die Züge weiterhin nur durchschnittlich 500 Tonnen transportieren sollen, ist der ganze Brenner-Basistunnel überflüssig, denn derartige Leicht-Güterzüge sind für die heutige Steilstrecke typisch.

Für den alpenquerenden Personenverkehr auf der Straße ist es nahezu bedeutungslos, ob der Brenner-Basistunnel gebaut wird oder nicht: Nach einer Prognose für 2010 werden ohne diesen Tunnel 14,8 Mio. Menschen auf Autobahn und Bundesstraße den Brenner passieren, und mit Tunnel unter dem Brenner werden es 14,4 Mio. Autoinsassen sein * , also eine Reduktion des Straßenverkehrs um lediglich 2,7%. Diese Verringerung wird allerdings durch das Wachstum des Straßen-Personenverkehrs, das im Alpentransit eine jährliche Durchschnittsrate von 5% aufweist * , bereits nach gut 6 Monaten kompensiert sein. Das heißt: Die Verringerung des Pkw- und Omnibus-Verkehrs durch den neuen Brenner-Tunnel ist bereits nach 6 Monaten durch das ständige Verkehrswachstum wieder kompensiert! Von einer Verkehrsverlagerung weg von der Brenner-Autobahn und hin zur Brenner-Eisenbahn und somit von einer Entlastung der Anwohner vom Straßen-Durchgangsverkehr kann somit keine Rede sein.

Auch im Güterverkehr ist es irrelevant, ob der Eisenbahn-Tunnel unter dem Brenner gebaut wird oder nicht: Ohne Brenner-Tunnel werden im Jahr 2010 per Lkw 24,8 Mio. Tonnen Güter über den Brennerpaß und mit dem neuen Tunnel immer noch 23,2 Mio. Tonnen befördert, also nur 6,5% weniger * . Diese Zahl entspricht der Zunahme der Gütertransporte via Brenner-Autobahn in 3 1/4 Jahren. Oder anders ausgedrückt: Die Wirkung des Brenner-Tunnels bezüglich des angestrebten Rückgangs beim Lkw-Verkehr ist bereits nach gut 3 Jahren kompensiert.
Das bedeutet, daß die Brenner-Autobahn im Vergleich zu heute durch den Eisenbahn-Tunnel überhaupt nicht entlastet wird, ja, daß der Tunnel nicht einmal den zukünftigen Verkehrszuwachs per Lkw verhindern wird. Das Ziel, dem der neue Tunnel dienen soll, nämlich "den heutigen Straßenverkehr auf diese Alpentransversale zu verlagern und in Zukunft zumindest nicht weiter ansteigen zu lassen" * , wird also trotz eines immensen finanziellen Aufwands von mindestens 40 Mrd. DM völlig verfehlt.

Ein Grund für die nur geringe Zunahme des Personenverkehrs auf der Schiene als Folge des Tunnels unter dem Brenner mit seinen tunnelreichen Zulaufstrecken liegt darin, daß der neue Schienenweg zwischen München und Verona im Linienverlauf fast exakt der bisherigen Brennerbahn folgt, wenn auch weitgehend unterirdisch. Somit erhält die von dem neuen Bauwerk betroffene Region, die durch die bestehende Bahnlinie bereits gut an den Personenverkehr auf der Schiene angebunden ist, keinerlei zusätzliche Erschließung. Eine weitere Ursache dafür, daß dieses Bauvorhaben die Zahl der Bahnreisenden via Brenner kaum erhöhen und die der Autobenutzer fast nicht verringern wird, ist die Tatsache, daß die unattraktiv langen Fahrzeiten der heutigen Bahnverbindungen Südbayern - Tirol - Norditalien nur eine geringe Reduktion erfahren. Denn die großen Umwege der heutigen Brennerachse sollen im Prinzip beibehalten werden. So wird auch nach Realisierung des Gesamtprojekts der Schienenweg von München nach Innsbruck um 65 km länger (+65%) und von München nach Verona um rund 110 km länger (+36%) als die Luftlinie sein.

Die Fahrt von München in das nur 300 km entfernte Verona soll durch die neue Brennerbahn zwar nur noch 2 Stunden 32 Minuten dauern* , aber dies entspricht einer Durchschnittsgeschwindigkeit bezogen auf die Luftlinie, von lediglich 118 km/h - trotz einer Höchstgeschwindigkeit von 250 km/h.

Noch gravierender wirkt sich der Umweg der Brennerstrecke zwischen München und Mailand und somit auch auf allen Relationen Richtung Turin, Genua und Riviera aus: Die schnellste Verbindung München - Mailand über Verona dauert heute 6 Stunden 55 Minuten und mit dem Ausbau der Brennerachse von München bis Verona 158 Minuten weniger* , das entspricht einer Durchschnittsgeschwindigkeit bezogen auf die Luftlinie von nicht mehr als 80 km/h. Diese Reisezeitverkürzungen sind zu niedrig, um Autofahrer, die mit ihrem eigenen Wagen bequem, umzusteigefrei, ohne Wartezeiten oder Fußwege von Haus zu Haus fahren können, zum Einstiegen in Eisenbahn-Züge zu ermuntern, von Flugreisenden ganz zu schweigen.

Abgesehen vom Italienverkehr mit Quelle oder Ziel in München, dient der Brennerübergang nur den Fahrten von Nordwest-Deutschland und Nord-Bayern nach Nordost-Italien. Deshalb laufen bereits in Augsburg und nicht erst in München aus den Richtungen Stuttgart, Frankfurt/M. und Nürnberg die Verkehrsströme nach Italien zusammen bzw. teilen sich hier in die genannten Richtungen auf. Der weitere Streckenverlauf von Augsburg über München und Kufstein nach Innsbruck zum Nordportal des Brenner-Basistunnel stellt gegenüber der 210 km langen Luftlinie einen Umweg von 150 km dar (Verlängerung: ca. 70%). Hinzu kommt die zeitraubende Fahrt auf Engpaß-Strecken durch das Münchner Stadtgebiet, so daß sich die Fahrzeit im Güterverkehr im Vergleich zu einer direkten Linienführung um mindestens 2 Stunden verlängert. Durch eine Verkürzung dieser Strecke, vorbei an München, würden die Güterzüge zwischen Deutschland und Italien wesentlich mehr Zeit einsparen als durch den geplanten Ausbau der Umwegstrecke München - Rosenheim - Innsbruck - Verona.

Doch anstatt ab Augsburg eine Abkürzungsstrecke in Richtung Österreich/Italien zu planen, wird ernsthaft erwogen, für die Güterzüge aus/in Richtung Nürnberg zur Umfahrung des Engpasses München die Fahrtstrecke sogar noch weiter zu verlängern, und zwar durch eine Linienführung über Regensburg - Mühldorf - Rosenheim. Obendrein muß diese Umwegstrecke, die zwischen Landshut und Rosenheim nur eingleisig und nicht elektrifiziert ist, erst noch zweigleisig ausgebaut und mit Oberleitung ausgerüstet werden. Auf diese Weise wird die Fahrzeit von Nürnberg nach Innsbruck weiter verlängert anstatt verkürzt, so daß der Gütertransport per Bahn im Vergleich zum Lkw noch mehr ins Hintertreffen gerät.

Aber auch die südliche Zulaufstrecke von Verona zum Brenner-Basistunnel bildet einen Umweg für alle Hauptverkehrsströme, die aus dem Industriedreieck Mailand/Turin/Genua und der Riviera im Nordwesten, aus dem Industrie- und Feriengebiet Triest/Venedig/Adria im Nordosten Italiens und aus allen Teilen Italiens südlich Bologna und Florenz in Richtung Deutschland und umgekehrt verlaufen. Bezogen auf die Luftlinie liegt Verona bei allen diesen Relationen immer "daneben", die Fahrt über diese Stadt stellt einen Umweg dar. Somit dient die Brennerachse nur dem Verbindung München - Verona und den dazwischen liegenden Orten und Regionen, die jedoch durch die vorhandene Verkehrsinfrastruktur bereits hervorragend erschlossen sind.

Doch noch hemmender für das Fahrgastaufkommen werden die extremen Tunnellängen sein: Die zwischen München und Verona geplanten Tunnels mit einer Gesamtlänge von 236 km (58% der Gesamtstrecke von 409 km) bilden die mit Abstand längste Tunnelstrecke der Erde und stellen für die Reisenden eine unattraktive, frustrierende bis beängstigende unterirdische Fahrt dar. Dies verhindert geradezu, daß mehr Menschen als heute die Eisenbahn anstatt das Auto oder Flugzeug in der Relation München - Innsbruck - Bozen - Verona und darüber hinaus benutzen.

Potentielle Eisenbahn-Fahrgäste, die es gewohnt sind, im eigenen Wagen auf dem Erdboden oder mit einer Airline sogar weit oberhalb und schon gar nicht unter der Erdoberfläche zu reisen, werden durch solch lange Tunnels geradezu abgeschreckt. Aber auch für die bisherigen Reisenden auf der fast durchgängig oberirdischen alten Brennerstrecke ist die weitgehend unterirdische Fahrt auf den neuen Gleisen alles andere als einladend. Die meisten Urlaubsreisenden wollen nämlich bei ihrer Fahrt durch die Alpen die herrliche Bergwelt sehen und nicht nur schwarze, eintönige Tunnelwände, die statt einem interessanten, angenehmen Erlebnis zu andauernden Frustrationen führen. Deshalb wird in Wirklichkeit die Zahl der Fahrgäste sogar niedriger sein als die ohnedies schon geringen Prognosewerte, bei denen psychologische Aspekte völlig außer acht gelassen werden.

Die Schweiz bereitet den Bau einer "Neuen Alpentransversale" (abgekürzt: NEAT) vor, die mit dem Aus- bzw. Neubau der Bahnstrecken im Korridor Basel - Mailand (u. a. Basistunnels unter dem St. Gotthard und Lötschberg) den Güter- und Personenverkehr zwischen den wichtigsten Wirtschafts- und Bevölkerungszentren der "Rheinschiene" und Norditaliens stark verbessert, was Kapazitäten und Fahrzeiten betrifft. Insbesondere der Lkw-Verkehr, für den heute in der Schweiz strenge Einschränkungen bestehen, wird dann in Form des "Kombinierten Ladungsverkehrs" die Schweiz auf direktem Weg durchqueren, so daß der heutige Straßenverkehr über den Brenner, der zu einem Großteil aus Umwegfahrten zur Umfahrung der Schweiz besteht, stark reduziert wird.

Die Brennerachse bekommt zusätzlich zur NEAT auch im Osten eine starke Konkurrenz, und zwar durch den bereits weitgehend abgeschlossenen Aus- und Neubau der Bahnlinie Venedig -/ Triest - Udine - Pontebba - Villach. Zusammen mit dem zur Zeit stattfindenden Ausbau der Bahnstrecken von Villach nach Salzburg (Tauernbahn) und nach Linz (über Schoberpaß und Pyhrn) sowie der beschlossenen neuen Semmeringbahn nach Wien entstehen sehr leistungsfähige Verbindungen von Italien und seinen wichtigen Adriahäfen nach Österreich, Ostdeutschland, Ungarn, Polen, in die Tschechische und Slowakische Republik. Hierbei erhält besonders der Güterverkehr in der Achse Berlin - Dresden - Prag - Linz - Villach - Venedig /-Triest eine ideale Trasse, die sehr flach ist und beide Mittelmeerhäfen auf kürzestem Weg, nämlich fast auf der Luftlinie, erreicht. Für alle genannten Relationen würde hingegen die Fahrt über den Brenner einen zeitraubenden und kostspieligen Umweg bedeuten.

Der Brenner-Basistunnel wird in einer Zone mit extrem schwierigen geologischen Verhältnissen verlaufen, die die Bezeichnung "Brennerfurche" trägt. Täler wie auch tiefliegende Pässe - der Brenner ist der niedrigste Paß des Alpenhauptkamms in den Zentralalpen - haben sich immer dort ausgebildet, wo weiches, wasserführendes Gestein vorhanden ist und wo mehrere geologische Schichten aufeinandertreffen. Genau eine solche Beschaffenheit des Gesteins ist aber für einen Tunnelbau äußerst ungünstig. Tunnels können nämlich dort am besten aufgefahren werden, wo festes, einheitliches und nicht wasserführendes Gestein vorliegt. Baut man einen Tunnel unter dem Alpenhauptkamm, so sollte dieses Bauwerk nicht im Bereich von Tälern und tiefen Pässen mit ihren vielen Störzonen verlaufen, sondern durch Bergmassive aus Granit und Gneis.

Da das Unterinntal und das Etschtal - ebenso wie das Wipptal oder das Eisacktal - einer geologischen Störzone folgen, ist bei den Tunnels der nördlichen und südlichen Zulaufstrecke (Gesamtlänge: 181 km) ebenfalls mit erheblichen geologischen Schwierigkeiten zu rechnen.

Für den 55 km langen Brenner-Basistunnel, aber auch für alle anderen längeren unterirdischen Abschnitte, ist ein aufwendiges Sicherheitskonzept notwendig, vergleichbar den Sicherheitsvorkehrungen beim ähnlich langen Eurotunnel zwischen Frankreich und England. So besitzt dieser Tunnel unter dem Ärmelkanal eine separate Tunnelröhre mit einer Vielzahl von Verbindungsstollen zum Haupttunnel, damit für die Fahrgäste immer ein Fluchtweg und für Service- und Rettungsmannschaften eine Zufahrtsmöglichkeit, unabhängig vom eigentlichen Tunnel, vorhanden ist. Die bisher bekannten Angaben über die Kosten des Brenner-Projekts enthalten keinen Betrag für derartige unverzichtbare
Sicherheitseinrichtungen, durch die alle Tunnels zwangsläufig deutlich teurer werden. Wegen des hohen Luftdrucks, der beim Hochgeschwindigkeitsverkehr mit 250 km/h entsteht, benötigt ein zweigleisiger Tunnel mit eingleisigem Rettungsstollen bzw. drei eingleisige Röhren einen Brutto-Tunnelquerschnitt von rund 200 m2, der mehr als doppelt so groß ist wie bei herkömmlichen Eisenbahntunnels. Entsprechend hoch fallen somit die Baukosten aus. Die geologischen Schwierigkeiten, die extreme Länge, die zusätzliche Röhre und der große Querschnitt bewirken, daß für den Tunnel unter dem Brenner eine sehr lange Bauzeit erforderlich ist. So geht bereits die Machbarkeitsstudie von einer Zeitdauer von 11 Jahren bis zur Fertigstellung dieses Bauwerks aus. Aber unabhängige Fachleute halten eine Bauzeit von 25 Jahren wegen der schwierigen geologischen Verhältnisse ebenso für möglich. Die Baukosten der neuen Brennerbahn von München bis Verona werden derzeit mit 25 Mrd. DM angesetzt* , wobei aus nicht nachvollziehbaren Gründen Finanzierungskosten und Mehrwertsteuer noch nicht enthalten sind. Berücksichtigt man diese Kosten, die keineswegs unterschlagen werden dürfen, so ergibt sich ein Betrag von 40 Mrd. DM.

Die Baukosten können sich durch eine ungünstige Geologie verdoppeln und stellenweise sogar verzehnfachen. Verdoppelt sich die Bauzeit, weil die Tagesleistung in Metern nur halb so hoch ist wie erhofft, so vervielfachen sich allein schon deshalb die Kosten, weil über einen wesentlich längeren Zeitraum die Investitionen vorfinanziert werden müssen, denn man erhält bekanntlich erst dann Erlöse, wenn der Tunnel ganz fertiggestellt ist und der erste Zug tatsächlich fährt. Hinzu kommen die entsprechend der längeren Bauzeit erhöhten Kosten für die Löhne der am Tunnelbau beteiligten Arbeitskräfte und für die verlängerte Einsatzzeit der Baumaschinen.

Angesichts der bereits bekannten und der noch zu erwartenden geologischen Probleme stellen die für den Brenner-Basistunnel und die Zulaufstrecken derzeit veranschlagten Kosten von 40 Mrd. DM allenfalls einen unteren Eckwert dar. Der tatsächliche finanzielle Aufwand dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit bei 50 bis 75 Mrd. DM liegen, also rund zwei- bis dreimal so hoch wie offiziell angegeben.

Um die Investitionskosten durch die Erlöse aus Gebühren für die Tunnelbenutzung abzudecken, müßten für die Fahrtkosten/Frachtkosten allein für die 55 km lange Strecke Innsbruck - Franzensfeste folgende Beträge kalkuliert werden: Das bedeutet, daß selbst im günstigsten Fall ein Ticket für die Fahrt durch den Brenner-Basistunnel ungefähr 10mal so teuer wäre wie auf einer normalen Eisenbahnstrecke und im ungünstigen, aber nicht unwahrscheinlichen Fall sogar rund 100mal so teuer.

Nach dem Ausbau der Gesamtstrecke München - Verona soll der Personenverkehr auf der Schiene im Jahr 2015 um 1,2 Mio. Reisenden pro Jahr zunehmen* . Geht man davon aus, daß 1/3 der Kosten der neuen Bahnlinie auf die zusätzlichen Reisenden umgelegt werden, so ergibt sich im günstigsten Fall ein Marktpreis für die Hin- und Rückfahrkarte München - Verona von 1100 DM.* Heute kostet die Fahrkarte nur rund ein Zehntel.

Um die Zinsen zu bezahlen, die die Banken für die vorfinanzierten Baukosten des Brenner-Basistunnels fordern sowie um die Abschreibungsraten des Tunnelbauwerks zu verdienen, müssen allein für den Basistunnel pro Person bzw. pro Gütertonne, die durch den Tunnel transportiert wird, im günstigsten Fall rund 53 DM bzw. 63 DM und im genauso möglichen ungünstigeren Fall rund 400 - 500 DM bezahlt werden. Pro Person und auch pro Tonne nimmt die Deutsche Bahn rund 12 Pfennige pro Kilometer ein. Zieht man die Betriebskosten (für den Zug, für Personal und für Strom) ab, so bleiben noch etwa 8 Pfennige pro Kilometer über eine Strecke von 72 km (alte Brennerbahn Bozen - Franzensfeste). Pro Person und auch pro Gütertonne kann der Betreiber des Brenner-Basistunnels 72 x 8 Pfennige = 6 DM für Zinsen und Abschreibungen verwenden. Benötigen würde er aber 50 DM im günstigsten Fall und 500 DM im ungünstigen Fall (bei einer Bauzeit von 15 statt 9 Jahren).

Es stellt sich daher die Frage, ob sich private Geldgeber finden werden, wenn man Ihnen verspricht, für 100 investierte DM in Zukunft 1 bis 10 DM zu erhalten, also 90 bis 99 DM "in den Wind zu schreiben". Ein privater Geldgeber investiert sein Geld vielmehr nur dann, wenn er durch die Investition die berechtigte Hoffnung hat, in Zukunft mehr Geld zu erhalten, als wenn er das Geld in festverzinslichen Wertpapieren anlegt. Schließlich trägt er das Risiko der Investition.

Die Alternative zur unrealistischen Finanzierung durch private Geldgeber wäre, daß die drei am Projekt Brenner-Tunnel beteiligten Staaten Deutschland, Österreich und Italien oder daß die EG die notwendige Summe von 40 bis 70 Mrd. DM aufbringt. Doch angesichts der hohen Staatsverschuldung und der immer größeren Finanzknappheit des EG-Haushalts ist eine solche Finanzierung mit öffentlichen Mitteln erst recht illusorisch.

Um dem Dilemma der Unwirtschaftlichkeit wenigstens teilweise zu entkommen, bedarf eine privatwirtschaftliche Finanzierung "noch verbesserter Rahmenbedingungen im gesamten Projektraum, die teilweise durch ordnungspolitische Maßnahmen geschaffen werden müßten."* Das heißt im Klartext, daß das vorgesehene Projekt "neue Brennerachse" nur dann wirtschaftlich tragbar ist, wenn durch dirigistische Maßnahmen eine zwangsweise Verlagerung des Straßenverkehrs auf die Schiene stattfindet und sich die Benutzer nicht gegen die monopolistischen hohen Frachtgebühren und Fahrpreise wehren können. In unserem freiheitlichen Wirtschaftssystem ist eine solche Vorgehensweise in höchstem Maße bedenklich. Der geplante nördliche Zulauf für einen Großteil der Güterzüge zum Brennertunnel von Regensburg über Mühldorf schafft eine neue "Lärmschneise" im bisher weitgehend verschonten Raum von Landshut über Mühldorf und Wasserburg bis Rosenheim und führt in den oberirdischen Abschnitten der neuen Trasse im Unterinntal zu einer zusätzlichen Belastung der hier vom Lärm der Brenner-Autobahn, Bundesstraße und bestehenden Brenner-Eisenbahn bereits bedrohten Anwohner.

Als nördliche Zulaufstrecke von München aus ist eine für den Personen- und Güterverkehr taugliche, oberirdische Neubaustrecke von Zorneding, vorbei an der Kurstadt Bad Aibling, bis Brannenburg vorgesehen. Da die bestehende Bahnlinie mit ihren relativ engen Kurvenradien schon aus vielen großen Einschnitten und Dämmen besteht, läßt sich erahnen, welche gewaltigen Landschaftsveränderungen für eine parallel verlaufende, mit dem Lineal gezogene Hochgeschwindigkeitstrasse zwischen Zorneding und Bad Aibling erforderlich sind. Im weiteren Streckenverlauf müssen schützenswerte Moorgebiete gequert werden und es entsteht eine Zerschneidung von Wiesen, Äckern und Wäldern in einer Landschaft mit hohem Erholungs- und Wohnwert.
Die ursprüngliche Vorstellung vieler bayerischer Politiker, eine schnellere Bahnverbindung nach Süden zu erhalten, und hierbei auf bayerischem Boden mit einer Sanierung bzw. Modernisierung der bestehenden Strecke auskommen zu können, verkehrt sich so ins Gegenteil: Nirgendwo sonst auf der Gesamtstrecke München - Verona verläuft die neue Bahnlinie auf einem so langen Abschnitt oberirdisch, nirgendwo sonst zwischen München und Verona, nur im bayerischen Voralpenland, ist eine völlige Veränderung der Landschaft auf 50 km Länge beabsichtigt.

Die Befürworter der geplanten neuen Brennerachse behaupten, das Internationale Brenner-Konsortium habe ein "Gesamtprojekt mit hohen, ökologisch motivierten Tunnelanteilen vorgelegt."* Aber in Wirklichkeit ist das genaue Gegenteil der Fall, denn als "ökologisch motiviert" könnte man allenfalls die Vermeidung von Tunnels bezeichnen, während der Bau von Tunnels, zumal mit einer solchen Extremlänge wie zwischen Oberbayern und der Poebene, eine ökologisch geradezu verheerende Wirkung hat, es sei denn, man verkürzte den Begriff "Ökologie" in unzulässiger Weise auf den reinen Lärmschutz für die Anwohner.

Gegen den Bau von Tunnels sprechen aus ökologischer Sicht gleich mehrere Argumente:

Die geplante Eisenbahnmagistrale München - Verona soll die Hochebene Oberbayerns mit der Poebene genau an der Stelle verbinden, an der die Alpen am breitesten sind. Die Luftlinie von Flintsbach (bei Rosenheim), wo der nördlichste Tunnel beginnen soll, bis zum Stadtrand von Verona, dem Ende des südlichsten Tunnels, beträgt rund 265 km; 236 Tunnelkilometer sind hier eingeplant. Andere Alpenübergänge wie beispielsweise der Gotthard oder die Tauern-Achse queren die Alpen an deutlich schmäleren Stellen (siehe Abbildung Alpenkorridore). Die Brenner-Route als neuer Eisenbahn-Korridor stellt alles andere als die geographisch naheliegende Verbindung von Südbayern nach Norditalien dar, sondern bildet eine groteske Zick-Zack-Querung der Alpen an der breitesten Stelle. (siehe Abbildung Alpenkorridore)

Doch Überlegungen, die sich grundsätzlich mit der Linienführung zwischen Südbayern und Norditalien auseinandersetzen und eine ökonomisch, ökologisch und fahrgastpsychologisch optimale Lösung anstreben, scheinen bei der aktuellen Planung der "neuen Brennerachse" keine Rolle gespielt zu haben. Weder wurde der klassische Umweg-Streckenverlauf über Rosenheim - Kufstein - Innsbruck - Brixen - Bozen kritisch hinterfragt noch die nördlichen und südlichen Endpunkte München und Verona. Zumindest findet sich an keiner Stelle eine Begründung, weshalb man auch für einen vollkommen neuen Schienenweg durch die Alpen ausgerechnet an der Brennerachse festhält, die lediglich historisch begründbar ist.

Als Mitte des 19. Jahrhunderts die heutige Brennerstrecke (Eröffnung: 1867) geplant wurde, war es aus der damaligen Sicht zweifellos sinnvoll, den (Um-) Weg durch das Unterinntal, das Wipptal, über den relativ niedrigen Brennerpaß, durch das Eisacktal und das Etschtal zu wählen. Auf diese Weise konnte die Länge aller Tunnels minimiert werden, deren Bau damals technisch sehr schwierig gewesen war: Von München bis Innsbruck, also auf einer Gesamtlänge von 172 km, war kein einziger Tunnel erforderlich, und im 147 km langen Abschnitt von Bozen bis Verona nur ein Tunnel von knapp 500 Meter Länge. Lediglich auf der 127 km langen Paßstrecke zwischen Innsbruck und Bozen mußten 17 sehr kurze Tunnels von zusammen rund 5 km Länge gebohrt werden, wobei der Brenner selbst völlig oberirdisch passiert werden konnte - für die Zentralalpen und den Alpenhauptkamm eine einmalig günstige Situation.

Der Tunnelanteil auf der alten, 446 km langen Brennerachse von München bis Verona beträgt nur 1% der gesamten Trasse. Man kann somit diese Bahnverbindung aus gutem Grund als Tunnel-Vermeidungsstrecke bezeichnen. So gesehen, ist der große Umweg von fast 150 km zwischen München und Verona aufgrund der kostengünstigen Trassenführung durch die langen Gebirgstäler durchaus zu vertreten. Im krassen Gegensatz dazu verläuft die neue Verbindung zu 58% unterirdisch und bildet dennoch immer noch einen zeitraubenden Umweg von über 100 km Länge. Bei kaum einer anderen Querung der Zentralalpen und bei kaum einem anderen Trassenverlauf wäre eine so große Tunnellänge zu erreichen. Dieser Linienverlauf stellt somit geradezu eine "Tunnel-Maximierungsstrecke" dar, die gleichermaßen ein Maximum an Kosten verursacht.

Wenn man die neue Bahnlinie auf der Luftlinie München - Verona, also ohne Umweg über Kiefersfelden/Kufstein bauen und dennoch unbedingt dieselbe Tunnelstrecke von 236 km Gesamtlänge wie bei der aktuellen Planung erzielen wollte, so würde ein einziger Tunnel von Eschenlohe bis Verona entstehen, aber immerhin könnte die Streckenlänge um rund 100 km abgekürzt werden, was zu einer deutlich kürzeren Fahrzeit und zu niedrigeren Baukosten führen würde. Eine solche Lösung wäre zweiffelos wirtschaftlicher und etwas umweltverträglicher als die aktuelle Planung. Ein ähnlicher Vorschlag soll im folgenden beschrieben und diskutiert werden.

Homepage vorwärts Inhalt Stichwörter