Als einzige echte Alternative zum Brenner-Basistunnel wird in der Öffentlichkeit
der "EG-Tunnel" diskutiert. Kernstück dieses Vorschlags ist eine ca. 130 km lange
Kette von mehreren zweigleisigen Tunnels im Korridor Eschenlohe - Garmisch-Partenkirchen
- Telfs - St. Leonhard - Bozen. In dieser Tunnelkette soll ein Mischbetrieb von
schnellen Personenzügen und langsameren Güterzügen des Kombinierten Ladungsverkehrs
stattfinden. Am Nord- und am Südende der Tunnelkette ist jeweils ein Terminal vorgesehen,
in dem der Übergang der Lkws, Container etc. von der Straße auf die Schiene und
umgekehrt stattfindet. Für die nördliche Zulaufstrecke zum EG-Tunnel ist an eine
Linienführung München/Augsburg - Landsberg (Lech) - Peißenberg - Murnau - Eschenlohe
gedacht, wobei die vorhandenen Bahnstrecken von München und Augsburg bis südlich
Landsberg lediglich ausgebaut, die übrigen Abschnitte hingegen weitgehend neu gebaut
werden müssen. Hierbei ist u. a. ein 10 km langer Tunnel unter den nördlichen
Ausläufern des Peißenbergs wie auch ein 5 km langer Tunnel im Bereich Murnau
notwendig.
Diese Alternative unterscheidet sich vom Brenner-Basistunnel in mehrerer Hinsicht:
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Die Trasse führt nicht über Innsbruck.
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Der Vorschlag beschränkt sich nicht auf den relativ kurzen Abschnitt im Bereich des
Alpenhauptkamms, sondern bietet eine Lösung für die gesamte Alpenquerung vom
flachen bayerischen Alpenvorland bis zur Ebene des Etschtals.
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Die nördliche Zulaufstrecke ist - anders als beim Tunnel unter dem Brenner - ein
integraler Teil des Projektes.
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Die zeitraubenden Umwege, die die bestehende Linie zwischen Augsburg/München und
Bozen beschreibt, werden abgekürzt.
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Die gesamte Trasse weist geringere Steigungen auf als beim Konzept des Brenner-Basistunnels
und eignet sich somit besser für schwere Güterzüge.
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Durch die Streckenverkürzung und die wesentlich höheren Fahrgeschwindigkeiten ergeben
sich sowohl im Personen- wie auch im Güterverkehr starke Fahrzeitreduktionen.
Somit entsteht ein Anreiz zur Verkehrsverlagerung von der Straße auf die Schiene.
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Der Basistunnel zwischen Telfs und St. Leonhard unterquert die Stubaier Alpen, deren
geologische Struktur für einen Tunnelbau weitaus günstiger ist als im Bereich
der Brennerfurche.
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Indem der Kombinierte Ladungsverkehr Bestandteil des Vorschlags ist, kann die hohe
Streckenkapazität der zweigleisigen Tunnelkette genutzt werden.
Insgesamt handelt es sich bei dieser Alternative um ein vergleichsweise schlüssiges
Gesamtkonzept mit einer sinnvollen und politisch eher durchsetzbaren nördlichen
Zulaufstrecke.
Dennoch weist auch dieser Alternativvorschlag einige Schwachpunkte auf:
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Der Tunnel Eschenlohe - Telfs in den nördlichen Kalkalpen kreuzt zahlreiche geologische
Störzonen. Zwar wird der Alpenhauptkamm an einer unvergleichlich günstigeren Stelle
als beim Brenner-Basistunnel durchquert, doch werden auch hier wesentliche Störzonen
durchfahren. Deshalb ist bei dieser Tunnelkette, deren Länge mit 130 km sehr beträchtlich
ist, immer noch mit einer relativ langen Bauzeit und entsprechend hohen Baukosten
zu rechnen.
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Der Mischverkehr von Zügen mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten führt dazu, daß
die Kapazität gegenüber einem geschwindigkeitshomogenen Betrieb ungefähr halbiert
wird. Die Alternative wäre, die Höchstgeschwindigkeit der Personenzüge auf 150
km/h zu reduzieren und die der Güterzüge auf 150 km/h zu erhöhen, was von den
Initiatoren des EG-Tunnels auch diskutiert wird. Doch dann würde die Durchfahrt
durch die Tunnelkette rund eine ganze Stunde statt nur gut eine halbe Stunde dauern,
was bei den Reisenden zu massiven psychischen Problemen (siehe oben) führen
würde. Herkömmliche Güterzüge (100 bis 120 km/h Höchstgeschwindigkeit) dürften
den Tunnel dann gar nicht oder zumindest nur nachts befahren.
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Eine hohe Geschwindigkeit für Personenzüge erfordert wie beim Brenner-Basistunnel
einen großen Tunnelquerschnitt, der erhöhte Baukosten zur Folge hat. Aber auch
dann haben die schnellfahrenden Personenzüge trotz ihrer aerodynamisch optimierten
Form im Tunnel einen starken Luftdruck zu überwinden, was sich in einem hohen
Energieaufwand und somit in hohen Betriebskosten niederschlägt. Dasselbe gilt für
die Güterzüge, wenn sie mit einer Geschwindigkeit von 150 km/h verkehren sollen
und bei denen eine aerodynamische Gestaltung gar nicht möglich ist.
Bei Zugbegegnungen im Tunnel können Druckwellen entstehen, durch die lose Ladungsteile,
z. B. leere Container oder Autos, von Güterwaggons geweht werden.
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Die oberirdischen Abschnitte der nördlichen Zulaufstrecke bedeuten eine neue bzw.
zusätzliche Zerschneidung und Verlärmung von naturnahen Gebieten mit zum Teil großer
Bedeutung für den Fremdenverkehr, und zwar bei Peißenberg sowie bei Murnau.
An einigen Stellen sind auch aufstrebende Wohngebiete betroffen. Die politische
Durchsetzbarkeit dieser Trassenabschnitte dürfte daher in Teilabschnitten schwierig
sein und hohe Kosten für Lärmschutz und Landschaftsgestaltung nach sich ziehen.
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Doch der gravierendste Nachteil des EG-Tunnels einschließlich der nördlichen Zulaufstrecke
liegt in der immer noch großen Tunnellänge von insgesamt rund 140 km, durch die
die Baukosten sehr hoch liegen, so daß die Wirtschaftlichkeit des Projekts fraglich
ist - wenn auch zweifellos die Wirtschaftlichkeit weitaus höher sein wird
als beim Brenner-Basistunnel.
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Beim EG-Tunnel ist die unterirdische Fahrtstrecke ähnlich lang wie im Fall der neuen
Brennerachse mit Karwendel-Basistunnel und nur wenig kürzer als bei einem nördlichen
Brenner-Zulauf mit Tunnelstrecken entlang dem Inntal. Aus Sicht der Fahrgastpsychologie
folgt daraus, daß für die Reisenden eine derartige Tunnelfahrt unattraktiv ist.
Deshalb wird das Personenverkehrsaufkommen im EG-Tunnel immer noch relativ unbedeutend
sein.
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Den EG-Tunnel überhaupt für Personenverkehr (mit einer Höchstgeschwindigkeit von
250 km/h) vorzusehen, führt wegen des dann erforderlichen großen Tunnelquerschnitts,
der aufwendigen Sicherheitsvorkehrungen, des erhöhten Energieverbrauchs etc.
zu erhöhten Bau- und Betriebskosten und wegen der verminderten Streckenkapazität
zu geringeren Einnahmen, so daß die Wirtschaftlichkeit des gesamten Projekts
gefährdet ist.
So gesehen, ist der EG-Tunnel nur für Güterverkehr geeignet.