Verkehrsentlastung im bayerischen Inntal - Aufspaltung des Güterzug- und LKW-Verkehrs statt Konzentration auf eine einzige Route

Auftraggeber: Inntal-Gemeinschaft e.V., Brannenburg, Mai 2006

Text der Studie zur Verkehrsentlastung im bayerischen Inntal liegt als PDF-Datei vor (480 kB)
Abbildungen der Studie zur Verkehrsentlastung im bayerischen Inntal liegen als separate PDF-Datei vor (400 kB)

Gliederung der Studie:




Problemstellung

Auf der seit 1972 durchgehend befahrbaren Autobahn München - Innsbruck - Brenner - Verona wächst der Verkehr von Jahr zu Jahr an: Zwischen 1995 und 2004 erhöhte sich die Anzahl der Kraftfahrzeuge (Pkw, Lkw) an der Zählstelle Kufstein Autobahn von 10,7 Mio auf 15,8 Mio,[Amt der Tiroler Landesregierung, Abt. Verkehrsplanung: Verkehr in Tirol, Bericht 2004, Anlage 1/A] eine Steigerung um rund 48%. Im selben Maße nehmen der Lärm und die Abgase der LKWs zu, die in den dicht besiedelten und touristisch stark genutzten Tälern Inn-, Wipp-, Eisack- und Etschtal zu wachsenden Belästigungen und Umweltbeeinträchtigungen führen. So gibt auch die Tiroler Landesregierung zu: "Tendenziell sind die NO2-Immissionen steigend."[a.a.O., S.43] Besonders betroffen ist das Inntal südlich Rosenheim, wo im Jahr 1995 an der Zählstelle Kufstein bereits rund 1,5 Mio LKWs und 2004 sogar rund 2,7 Mio LKWs auf der Autobahn gezählt wurden,[a.a.O., Anlage 3/A] was ein Wachstum um rund 80% bedeutet. Insgesamt liegt die Zahl der Lkws auf der Inntal-Autobahn bei Kufstein mit 7261 pro Tag um rund 34% höher als am Brenner mit 5428,[eigene Berechnungen nach: Amt der Tiroler Landesregierung, Abt. Verkehrsplanung: Verkehr in Tirol, Bericht 2004, Anlage 3/A] so daß die Lärm- und Abgasbelastung im Inntal zwischen Rosenheim und Innsbruck noch gravierender als im Wipp- und Eisacktal ist. Wenn dieses Wachstum des Lkw-Verkehrs weiter anhält, werden im Jahr 2013 insgesamt rund 4,7 Mio Lkws die Kufsteiner Zählstelle passieren, was einen Tagesdurchschnitt von fast 13.000 Lkws ergibt. Zu diesem Zeitpunkt werden nicht nur die Grenzen der Belastbarkeit von Menschen und Umwelt im Inntal weit überschritten sein, sondern auch die Inntal-Autobahn wird den steigenden Lkw- und Pkw-Verkehr nicht mehr bewältigen können und somit völlig überlastet sein.

Deshalb müssen zur Entlastung des bayerischen Inntals und ebenso für das österreichische Unterinntal relativ schnell umsetzbare Lösungen gefunden werden, die menschen- und umweltverträglich sowie finanzierbar sind. Zwei Verkehrsprojekte, die beide bezüglich ihrer Realisierung schon weit fortgeschritten sind, stellen zusammen die Ansatzpunkte für solche Lösungen dar: der im Bau befindliche Gotthard-Basistunnel in der Schweiz, der noch durch geeignete Zulaufstrecken aus Süddeutschland ergänzt werden muß, und die Autobahn A95 von München in Richtung Garmisch-Partenkirchen, die im Norden und Süden noch die Verknüpfung mit dem übrigen Autobahnnetz benötigt. Auf diese Weise läßt sich der Güterverkehr, der sich heute auf die Inntal-Brenner-Achse konzentriert, auf mehrere und zum Teil wesentlich kürzere Routen verteilen. Dagegen stellt der geplante Ausbau der Brenner-Eisenbahn incl. Brenner-Basistunnel keine Lösung im Transitverkehr für die Zukunft dar.


Ausbau der Brenner-Eisenbahnachse als Lösung ungeeignet

Seit rund 20 Jahren ist der Brenner-Basistunnel von Innsbruck bis Franzensfeste sowie der Bau von 2 zusätzlichen Gleisen für die Zulaufstrecken ab München und ab Verona in der Diskussion. Dieses Eisenbahn-Projekt wird von den meisten Politikern als die Lösung zur Entlastung der Autobahn und zur Bewältigung des künftigen Transitverkehrs dargestellt. Die ausgebaute Eisenbahnachse München - Verona via Brenner sei angeblich die Voraussetzung, den Güterverkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern. Bereits 1989 wurde eine Machbarkeitsstudie für den 55 km langen, aus zwei Röhren bestehenden Eisenbahntunnel Innsbruck - Franzensfeste und 1993 eine weitere Machbarkeitsstudie für den Ausbau bzw. Neubau der nördlichen und südlichen Zulaufstrecke zu diesem Tunnel erstellt.[Deutsche Bundesbahn / Ferrovie dello Stato /Österreichische Bundesbahnen: Ausbau der Eisenbahnachse München - Verona, Machbarkeitsstudie Zulaufstrecke Nord, Machbarkeitsstudie Zulaufstrecke Süd, Auftraggeber: Internationales Brenner Konsortium, September 1994] Die zukünftige Bahnstrecke München - Verona soll eine Länge von 409 km haben, davon 236 Streckenkilometer im Tunnel, was einen Tunnelanteil von 58% ergibt.[Lindenberger, Hans: Technische Aspekte der Brennereisenbahn heute und morgen, Vorstellung der Studienergebnisse für die Talgemeinschaften des Eisacktals und des Unterinntals, Referat vom 2.3.1994 und 10.5.1994, S.4] Laut Medienberichten belaufen sich die Baukosten des Brenner-Basistunnels auf rund 5 Mrd EUR und die Kosten der beiden Zulaufstrecken auf 12 Mrd EUR, so daß sich die Gesamtkosten auf rund 17 Mrd EUR summieren.[Schneider, Christian: Für große Röhre fehlt das Geld, in: Süddeutsche Zeitung, 23.3.2006] Noch im Jahr 2006 soll der Bau von Schächten und Stollen zur geologischen Erkundung des Gebirges am Brenner beginnen.[Pilotstollen für Brenner-Basistunnel, in: Eisenbahn-Revue International, Heft 10, 2005, S.482] Die Inbetriebnahme dieses neuen Eisenbahntunnels wurde in einem am 30.4.2004 zwischen Österreich und Italien abgeschlossenen bilateralen Abkommen auf das Jahr 2015 deklariert.[Amt der Tiroler Landesregierung, Abt. Verkehrsplanung: Verkehr in Tirol, Bericht 2004, S.59] Für die Eröffnung der gesamten neuen Brenner-Eisenbahnachse von München bis Verona wurde jedoch noch überhaupt kein Termin genannt.

Bereits relativ weit fortgeschritten bzw. schon abgeschlossen ist der Strecken-Neubau im Unterinntal zwischen Innsbruck und Kundl: Seit 1994 befindet sich der 12,7 km lange Umfahrungstunnel Innsbruck im Betrieb; für 2011 ist die Fertigstellung des 41,1 km langen Abschnitts Baumkirchen - Kundl (Baukosten: ca. 1,8 Mrd EUR) mit zwei zusätzlichen Gleisen vorgesehen, die zu 80% "in Tunnels, Wannen oder in Unterflurtrassen geführt" werden sollen.[a.a.O.,S.58]

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Wenn man eine Aufteilung des Nord-Süd-Güterverkehrs auf möglichst direkte Routen für Schiene und Straße vornimmt (siehe Abb. 1 und 2), so zeigt sich, daß die wichtige Eisenbahn-Direktverbindung von Süddeutschland (Nürnberg, Stuttgart, Ulm, Augsburg, München) in das italienische Wirtschaftszentrum Mailand/Turin/Genua mit seinem Mittelmeerhafen Genua nicht über den Brenner verläuft, sondern über den Gotthard. Der kürzeste und somit zweckmäßigste Weg von Deutschland in den Raum Udine und zum bedeutenden Seehafen Triest führt ebenfalls nicht über den Brenner, sondern über die Tauern-Eisenbahn und -Autobahn via Salzburg und Villach. Die Brenner-Achse hingegen ist, von Süddeutschland aus gesehen, nur für den Güterverkehr mit Bologna, Venedig-Mestre und Verona relevant und somit für alle anderen Verkehre umwegig. Im wesentlichen stellt die Brenner-Achse nur eine direkte Verbindung von Bayern nach Mittel- und Süditalien dar. Die Bedeutung dieser Route ist im Schienen-Güterverkehr jedoch sehr gering, weil der industrielle Schwerpunkt Italiens im Städtedreieck Mailand-Turin-Genua liegt. Dies wird auch dadurch deutlich, daß die direkte Fortsetzung der Brenner-Eisenbahn von Verona nach Bologna bis zum heutigen Tag nur eingleisig (!) ist.

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Tatsächlich dominiert im Güterverkehr auf der Straße zwischen Süddeutschland und Norditalien ausschließlich der Weg über den Brenner (siehe Abb. 3): Die Transportmenge (in Tonnen) per Lkw ist am Brenner (2004: 31,3 Mio t) über 3-mal so hoch wie am Gotthard (2004: 9,6 Mio t)[a.a.O., S.16]. Die Tauernroute, auf der die gesamte per Lkw beförderte Gütermenge ebenfalls geringer als am Brenner ist (2004: 12,1 Mio t),[ebenda] dient sowohl dem Verkehr Richtung Balkan als auch Richtung Norditalien. Die Konzentration des Lkw-Transitverkehrs auf die Route via Inntal und Brenner scheint auch ein wesentlicher Grund dafür zu sein, daß der Brenner als Alpenübergang in der politischen Diskussion einen so hohen Stellenwert hat. Doch dieser starke Lkw-Verkehrsstrom hat keine "natürliche" Ursache, die in der kürzesten Verbindung zwischen den wichtigsten Wirtschaftsräumen in Süddeutschland und Norditalien bestehen würde, sondern es handelt sich hierbei zu einem Großteil um einen "künstlich" erzeugten Lkw-Umwegverkehr, der auf der direkten Route durch die Schweiz via Gotthard bzw. San Bernardino starken Behinderungen und Restriktionen unterworfen ist, die es auf der Achse durch das Inntal und über den Brenner nicht gibt:

Mit dem Ausbau des Eisenbahn-Korridors München - Verona wird das Ziel verfolgt, die Gütertransporte der Brennerachse möglichst weitgehend von der Straße auf die Schiene zu verlagern, und zwar vor allem durch eine Stärkung des kombinierten Ladungsverkehrs.

Doch damit tatsächlich eine Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene zustande kommt, muß der Haus-zu-Haus-Transport per Güterwaggon bzw. der kombinierte Ladungsverkehr kürzere Beförderungszeiten aufweisen und kostengünstiger sein als der reine Straßentransport, was allerdings nur durch die Abkürzung der Wegstrecke möglich wäre. Denn nur dann tritt eine Reduktion der Transportzeit und der Transportkosten ein. Wenn die Schienenstrecke am Brenner hingegen dieselbe Länge wie die Straße hat, vergrößern sich im kombinierten Ladungsverkehr lediglich Zeitaufwand und Kosten, und zwar allein schon durch das Verladen der Lkws und Container auf den Zug plus das spätere Entladen vom Zug.

Außerdem kann prinzipiell eine Entlastung der Autobahn vom ständig steigenden Lkw-Verkehr gar nicht stattfinden, da die geplante Eisenbahn-Trasse bestenfalls die weiteren Zuwachsraten auf der Autobahn abmildern könnte. Hinzu kommt, daß auf der neuen Bahnstrecke sowohl langsame Güterzüge als auch schnelle ICE-Züge verkehren sollen, was die Kapazität der neuen Strecke stark herabsetzt. Eine Verminderung des Lkw-Verkehrs auf der Autobahn wird dadurch nicht erreicht.

Das Eisenbahn-Projekt München - Brenner - Verona würde insgesamt dazu führen, daß sich der Nord-Süd-Transitverkehr zukünftig noch stärker auf die Route durch das Inntal sowie das Wipp-, Eisack- und Etschtal konzentrieren würde, als dies heute schon der Fall ist.


Fertigstellung der Brenner-Eisenbahnachse erst nach 2030 denkbar

Die Inbetriebnahme des Brenner-Basistunnels zusammen mit der neuen nördlichen und südlichen Zulaufstrecke ist, realistisch betrachtet, erst nach 2030 möglich. Die Eröffnung des neuen Eisenbahntunnels unter dem Brenner wurde per Abkommen zwischen Österreich und Italien zwar für das Jahr 2015 deklariert.[a.a.O., S.59] Hierbei handelt es sich jedoch nicht um eine sachlich begründete Zeitplanung, sondern um eine politische Absichtserklärung, wie dies bei vergleichbaren Großprojekten üblich ist. Maßgeblich für die Bauzeit von Tunnels sind hingegen geologische und bautechnische Faktoren, die nicht von der Politik beeinflußbar sind. So war die Inbetriebnahme des Seikan-Tunnels in Japan (Länge: 54 km) ursprünglich für das Jahr 1978 vorgesehen,[Saitz, Hermann H.: Tunnel der Welt - Welt der Tunnel, transpress, Berlin 1988, S.137] aber der Eisenbahnverkehr durch diesen Tunnel konnte erst 1988[Eisenbahn-Revue International, Heft 6, 2005, S.275] beginnen, also mit 10-jähriger Verspätung. Für die Eröffnung des in Bau befindlichen Gotthard-Basistunnels wurde noch im November 1997 von der zuständigen Projektgesellschaft AlpTransit das Jahr 2009 genannt.[AlpTransit: Der neue Basistunnel durch den Gotthard, Bern, 1997, S.11] Inzwischen wird das Jahr 2016 angegeben,[Die längsten Eisenbahntunnel der Welt, in: Eisenbahn-Revue International, Heft 6, 2005, S.276] was eine Verzögerung des Eröffnungstermins um 7 Jahre bedeutet.

Noch 2006 soll mit dem Bau eines 52 km langen Systems von Schächten und Stollen zur geologischen Erkundung des Gebirgsaufbaus am Brenner begonnen werden. Diese Erkundung soll 2010 abgeschlossen sein.[Pilotstollen für den Bau des Brenner-Basistunnels, in: Eisenbahn-Revue International, Heft 10, 2005, S.482] Betrachtet man diesen Zeitpunkt als Starttermin der eigentlichen Tunnelbauarbeiten, so läßt sich die Bauzeit und somit das mögliche Eröffnungsjahr des Brenner-Basistunnels abschätzen, indem man die Erfahrungen berücksichtigt, die beim Bau des Seikan-Tunnels und des Gotthard-Basistunnels bisher gemacht wurden. Unter dieser Annahme ist mit der Inbetriebnahme des Brenner-Basistunnels erst im Jahr 2029 zu rechnen (siehe Abb. 4), also eine Verschiebung des Eröffnungstermins um 14 Jahre gegenüber dem zwischen Österreich und Italien deklarierten Zeitpunkt.

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Bezüglich der endgültigen Fertigstellung der gesamten Brenner-Eisenbahnachse wurde offiziell ohnedies noch kein Termin genannt. Aber wegen der großen Länge der zwischen München und Verona zusätzlich zum Basistunnel erforderlichen Tunnelstrecken (Gesamtlänge: ca. 140 km), dürfte die gesamte Aus- und Neubaustrecke erst weit nach 2030 betriebsbereit sein, zumal der Planungsstand der Zulaufstrecken zum Brenner-Tunnel noch relativ gering ist, sieht man von dem bereits in Bau befindlichen Abschnitt Kundl - Innsbruck ab. Der Nordzulauf zum Brenner-Basistunnel erfordert eine neue Strecke bereits ab München, während bislang von den Planern Trassenvorschläge erst ab Grafing präsentiert wurden. Zwischen München-Trudering und Grafing ist deshalb der Neubau eines fünften und sechsten Gleises erforderlich, wie dies auch beim derzeitigen "4-gleisigen" Ausbau der Strecke München - Augsburg im Abschnitt von Olching bis Maisach der Fall ist, wo zukünftig 2 separate Gleise für den Güterverkehr neben den heutigen 4 Gleisen für den Personenverkehr (2 für Fern- und Regionalzüge, 2 für die S-Bahn) verlaufen werden.


Streckenausbau Wörgl - Innsbruck hat eigenen Verkehrswert ohne Ausbau der Brennerachse

Der laufende bzw. teilweise bereits abgeschlossene Aus- und Neubau der Strecke Innsbruck - Wörgl bzw. Kundl wird von politischer Seite wie auch von den planenden Ingenieuren als erstes Teilstück der nördlichen Zulaufstrecke zum Brenner-Basistunnel betrachtet. Daraus leitet sich häufig die Forderung ab, nun auch im bayerischen Inntal zwei zusätzliche Bahngleise zu bauen. Nach den bisherigen Planungen sollen diese beiden neuen Gleise ab Flintsbach im Tunnel - vorbei an Oberaudorf, Kiefersfelden und Kufstein - verlaufen und bei Kundl (westlich Wörgl) in die Unterinntal-Trasse einmünden.[Deutsche Bundesbahn / Ferrovie dello Stato /Österreichische Bundesbahnen: Ausbau der Eisenbahnachse München - Verona, Machbarkeitsstudie Zulaufstrecke Nord, Machbarkeitsstudie Zulaufstrecke Süd, Auftraggeber: Internationales Brenner Konsortium, September 1994]

Doch die Ausbau-/ Neubaustrecke von Innsbruck nach Kundl hat verkehrsgeographisch einen vollkommen anderen Stellenwert als das sich daran in Richtung Bayern anschließende Streckenteilstück, so daß keineswegs eine zwingende Notwendigkeit besteht, auch ab Kundl bzw. Wörgl nach Rosenheim zwei weitere Gleise zu bauen. Denn der Unterinntal-Abschnitt Wörgl - Innsbruck muß insgesamt 3 Verkehrsströme bewältigen (siehe Abb. 5):

(1) Nord-Süd-Fernverkehr München - Verona

(2) West-Ost-Fernverkehr Frankreich - Schweiz - Österreich - Tschechien, Ungarn, Balkan

(3) Personen-Nahverkehr des Großraumes Innsbruck, der zu einem S-Bahn-Betrieb ausgebaut werden soll.

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Dagegen dient der Abschnitt Kufstein - Rosenheim nur einem einzigen Verkehrsstrom, nämlich dem Nord-Süd-Verkehr.

Bereits 1994 wurde hierzu von dem damaligen ÖBB-Vertreter Hans Lindenberger ausgeführt: Da die hohen Zugzahlen, die als Folge des vom Land Tirol angestrebten Ausbaus des Schienen-Nahverkehrs zu erwarten seien, "von der zweigleisigen Bestandsstrecke nicht bewältigt werden können, ist auch ohne Brenner Tunnel (sic!) ein Streckenaus- bzw. -neubau im Unterinntal erforderlich."[Lindenberger, Hans: Technische Aspekte der Brennereisenbahn heute und morgen, Vorstellung der Studienergebnisse für die Talgemeinschaften des Eisacktals und des Unterinntals, Referat vom 2.3.1994 und 10.5.1994, S.3]

Außerdem ist als Folge der EU-Osterweiterung neben der Zunahme des Nord-Süd-Verkehrs zukünftig auch ein Anwachsen des West-Ost-Verkehrs zu erwarten. Der laufende 4-Gleis-Ausbau im österreichischen Unterinntal ist angesichts dieses zunehmenden West-Ost-Verkehrs und des zukünftig verstärkten Nahverkehrs im Großraum Innsbruck eine zielführende Maßnahme, während sich auf bayerischer Seite auch langfristig nur der Nord-Süd-Verkehr abspielen wird, für den die beiden vorhandenen Streckengleise dauerhaft eine ausreichende Kapazität besitzen.


Ausbau der nördlichen Gotthard-Zulaufstrecke zur Entlastung des bayerischen Inntals

Anders als der Brenner-Basistunnel, der realistischerweise kaum vor 2030 zur Verfügung steht, soll der im Bau schon weit fortgeschrittene Gotthard-Basistunnel zwischen Erstfeld und Biasca (Länge: 57 km) bereits 2016 eröffnet werden.[Die längsten Eisenbahntunnel der Welt, in: Eisenbahn-Revue International, Heft 6, 2005, S.276] Während die Kapazität der heutigen Gotthard-Eisenbahn bei max. 180 Güterzügen pro Tag liegt,[Auskunft durch SBB, Infrastrukturdivision, 11.4.2006] wird der neue Tunnel am Gotthard eine Kapazität von 300 zusätzlichen Güterzügen plus 88 Reisezügen aufweisen.[AlpTransit Gotthard AG: Bau und Betrieb der NEAT, Vortrag am 10.1.2002 in Lindau, Abb.16] Es bietet sich an, diese Kapazitätsausweitung für Güterzüge zu nutzen, und zwar zum einen für solche Züge, die heute schon zwischen Süddeutschland und Mailand/Turin/Genua verkehren, aber über die Inntal-Brenner-Achse umgeleitet werden, und zum anderen für zusätzliche Züge, die im kombinierten Ladungsverkehr eingesetzt werden, um insbesondere Gütertransporte von der umwegigen Straße via Brenner auf die relativ direkt verlaufende Schiene via Gotthard zu verlagern.

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Vergleicht man die kürzesten realistischen Routen, die im Schienen-Güterverkehr zwischen Süddeutschland und Norditalien möglich sind (siehe Abb. 1), mit den tatsächlich benutzen Eisenbahnstrecken (siehe Abb. 6), so fallen folgende Besonderheiten auf:

Diese großen Umwege im Schienen-Güterverkehr haben außerdem zur Folge, daß der Transport per Güterzug von Süddeutschland nach Norditalien und umgekehrt gegenüber dem Transport per Lkw kaum konkurrenzfähig ist, auch wenn auf der Straße ähnliche Umwege zu fahren sind.

Die Ursache dafür, daß die relativ direkt verlaufenden Strecken von Stuttgart, Ulm, Augsburg und München in Richtung Gotthard-Achse im Güterverkehr kaum eine Verwendung finden, ist der unzureichende Ausbaustandard dieser Schienenwege:

Es ist naheliegend, den Güterzug-Zulauf zur Gotthard-Achse aus den Räumen Stuttgart, Ulm, Augsburg und München soweit wie möglich auf einer Bahnstrecke zu bündeln, um eine hohe Wirtschaftlichkeit der notwendigen Ausbaumaßnahmen zu gewährleisten und zugleich die Bauzeit zu minimieren. Hierbei können die Güterzüge von und nach Stuttgart die bestehende Strecke über Plochingen - Geislingen - Ulm benutzen, die spätestens nach Fertigstellung der im Genehmigungsverfahren befindlichen ICE-Neubaustrecke Stuttgart - Ulm ausreichende Streckenkapazitäten besitzt. Im weiteren Verlauf ab Ulm steht die Bahnstrecke in Richtung Friedrichshafen zur Verfügung, die als "Internationales Vorhaben" Bestandteil des Bundesverkehrswegeplans 2003 ist.[Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen: Bundesverkehrswegeplan 2003, Beschluß der Bundesregierung vom 2.7.2003, Abb.6]

Auch die Bahnstrecke München - Lindau ist als "Internationales Vorhaben" im Bundesverkehrswegeplan enthalten.[ebenda] In Buchloe erreicht der von Augsburg und in Kißlegg der von Ulm kommende Streckenast die Zulaufstrecke München - Lindau - Gotthard, die ab St. Margreten durch die Schweiz verläuft (siehe Abb.7). Hier ist im Rahmen des NEAT-Projekts (Neue Eisenbahn-Alpentransversale) bereits seit Anfang der 90er Jahre ein Neubau bzw. Ausbau der Eisenbahn-Infrastruktur zur verbesserten Anbindung der Ostschweiz an die Gotthard-Achse geplant.[Schweizerischer Bundesrat: Botschaft über die Integration der Ostschweiz in das Konzept der schweizerischen Alpentransversale, 26.6.1991]

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Um die genannten Bahnlinien für den Zulauf von Güterzügen zur Gotthard-Strecke zu ertüchtigen, sind folgende Baumaßnahmen erforderlich (siehe Abb. 7):

Baumaßnahmen nördlich Bregenz:

Baumaßnahmen zwischen Bregenz und der Gotthard-Bahnstrecke: Die größte und somit zeitaufwendigste Einzelmaßnahme stellt der Hirzel-/Zimmerbergtunnel dar, für dessen Bauzeit 9 Jahre[Schweizerischer Bundesrat: Botschaft über die Integration der Ostschweiz in das Konzept der schweizerischen Alpentransversale, 26.6.1991, S.10] veranschlagt werden und für den bereits eine baureife Planung existiert. Wenn mit den Bauarbeiten umgehend begonnen wird, ist dieses Bauwerk deshalb bis zur Eröffnung des Gotthard-Basistunnel 2016 betriebsbereit. Alle anderen Maßnahmen erfordern einen weitaus geringeren Zeitaufwand bei der Bauausführung, so daß sie weniger zeitkritisch sind und somit bis zur Inbetriebnahme des Gotthard-Basistunnels zur Verfügung stehen werden. Sollte sich bei dem grenzüberschreitenden Neubauprojekt zur Umfahrung von Lindau und Bregenz, das im Stadtgebiet Bregenz auch eine Tunnelstrecke umfaßt, Verzögerungen ergeben, so kann die heutige Bahnstrecke durch das Lindauer Stadtgebiet als Zwischenlösung benutzt werden.

Für die Baumaßnahmen nördlich Bregenz ist mit Investitionen von rund 950 Mio EUR zu rechnen, wobei sich die Schweiz mit 60 Mio EUR an den Ausbaukosten des deutschen Streckenabschnitts München - Lindau sogar beteiligen will.[Baur, Dieter / Ott, Klaus: Schweiz will Bahnausbau in Bayern bezuschussen, in: Süddeutsche Zeitung, 12.4.2003]. Der gesamte weitere Streckenausbau ab Bregenz und durch die Schweiz erfordert Kosten von rund 630 Mio EUR. In diesem Betrag ist allerdings auch ein Teilstück des Zimmerbergtunnels enthalten, der nur der Anbindung des Raumes Zürich an die Gotthard-Strecke dient, aber für die Güterzug-Achse aus Richtung Lindau gar nicht erforderlich ist. Insgesamt sind für die Ertüchtigung der Strecken ab Ulm, Augsburg und München als Zulaufstrecke zur Gotthard-Route somit rund 1,6 Mrd EUR aufzuwenden.

Dieser Investitionsbetrag, der sich auf eine Gesamtstrecke von rund 400 km bezieht, umfaßt weniger als ein Drittel der Baukosten des lediglich 55 km langen Brenner-Basistunnels und weniger als ein Zehntel der ebenfalls rund 400 km langen Eisenbahn-Trasse München - Verona. Zugleich wird durch die ausgebaute Gotthard-Zulaufstrecke der Schienenweg aus den süddeutschen Wirtschaftsräumen München, Augsburg, Ulm und Nürnberg in das italienische Wirtschaftszentrum Mailand/Turin/Genua um rund 40 km bis 440 km abgekürzt (siehe Kap. 6). Der Nutzen, den der Ausbau der Eisenbahn-Verbindung von Süddeutschland zur Gotthard-Route stiftet, ist somit um ein Vielfaches höher, als es der Nutzen von Aus-/Neubaumaßnahmen an der Brenner-Bahnstrecke jemals sein könnte.

Die theoretische Kapazität des neuen Gotthard-Basistunnels liegt bei zusätzlich 300 Güterzügen[AlpTransit Gotthard AG: Bau und Betrieb der NEAT, Vortrag am 10.1.2002 in Lindau, Abb.16] und ist somit weit höher, als realistischerweise auf dieser Route an Schienengüterverkehr zu erwarten ist. Der gesamte bisherige Umweg-Schienenverkehr von Bayern nach Mailand/Turin/Genua kann deshalb problemlos durch den neuen Gotthard-Basistunnel geleitet werden, mit entsprechender drastischer Entlastung auf der Brennerstrecke zwischen München und Verona. Gleichzeitig wird dadurch die Wirtschaftlichkeit des Gotthard-Basistunnels erheblich verbessert.


Abkürzungseffekte via Gotthard- und Tauern-Bahnstrecke gegenüber Brenner-Achse

Doch nicht nur die beschriebene Eisenbahn-Route über den Gotthard ist eine Alternative zur Brenner-Achse, sondern auch die Bahnlinie über die Tauern (Salzburg - Villach - Udine). Diese Strecke besitzt bereits einen hohen Ausbaustandard: Sie ist weitgehend 2-gleisig und durchgehend elektrifiziert. Lediglich an der Nordrampe zum Tauerntunnel (von Schwarzach - St. Veit bis Böckstein) ist der 2-Gleis-Ausbau noch nicht vollständig abgeschlossen, doch die Bauarbeiten hierfür sind im Gange. Auf deutscher Seite ist die Bahnstrecke von München über Mühldorf bis Freilassing laut Bundesverkehrswegeplan zum Ausbau vorgesehen, wobei der Abschnitt von München Ost bis Markt Schwaben als "Vordringlicher Bedarf" eingestuft ist.[Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen: Bundesverkehrswegeplan 2003, Beschluß der Bundesregierung vom 2.7.2003, Abb.6] So lange der Abschnitt München - Freilassing über Mühldorf noch nicht ausgebaut ist, steht für die Güterzüge wie bisher die elektrifizierte, 2-gleisige Bahnstrecke über Rosenheim - Traunstein zur Verfügung.

Wenn alle genannten Baumaßnahmen an der nördlichen Gotthard-Zulaufstrecke realisiert sind und der Gotthard-Basistunnel fertiggestellt ist, ergeben sich für den Güterzug-Verkehr ab München, Augsburg und Ulm zum norditalienischen Industriedreieck Mailand/Turin/Genua gegenüber der Fahrt über den Brennerpaß starke Abkürzungen (siehe Tab.1):

Da die Güterzüge aus der nordbayerischen Industrieregion Nürnberg/Fürth/Erlangen nach Mailand, Turin und Genua mit Fertigstellung der ICE-Strecke Nürnberg - Ingolstadt - München im Sommer 2006 aus Kapazitätsgründen großenteils über Augsburg statt über Ingolstadt geleitet werden müssen, profitiert auch der Güterverkehr zwischen Nürnberg und dem norditalienischen Industriedreieck via Gotthard-Basistunnel im selben Maße wie Augsburg vom beschriebenen Abkürzungseffekt.

Tab. 1: Vergleich der Streckenlängen im Eisenbahn-Güterverkehr Süddeutschland - Norditalien über Brennerpaß, Gotthard-Basistunnel Tauerntunnel


von... Ulm Augsburg München (in km) (in km) (in km)

nach Mailand - via Brennerpaß 743 657 595 - via Gotthard-Basistunnel* 497 524 553 - Differenz +246 +133 +42 - Abkürzung 33% 20% 7%

nach Genua - via Brennerpaß 887 801 739 - via Gotthard-Basistunnel* 641 668 697 - Differenz +246 +133 +42 - Abkürzung 28% 17% 6%

nach Turin - via Brennerpaß 1044 958 896 - via Gotthard-Basistunnel* 607 634 663 - Differenz +437 +324 +233 - Abkürzung 42% 34% 26%

nach Venedig-Mestre - via Brennerpaß 705 619 557 - via Tauerntunnel 747 661 599 - Differenz -42 -42 -42 - Abkürzung 6% 7% 8%

nach Triest - via Brennerpaß 853 767 705 - via Tauerntunnel 694 608 546 - Differenz +159 +159 +159 - Abkürzung 19% 21% 23%

Legende: * über St. Gallen, mit Neubau von Abkürzungsstrecken bei Memmingen und Lindau/Bregenz + Fahrt über Brennerpaß ist Umweg - Fahrt über Brennerpaß ist Abkürzung

Der Schienenweg ab München, Augsburg und Ulm zur Hafenstadt Triest ist auf der Tauern-Eisenbahnachse über Salzburg - Villach - Udine gegenüber dem Brenner jeweils um rund 160 km kürzer, was eine Abkürzung des Transportweges in jeder der drei Verbindungen um rund 20% bedeutet. Lediglich nach Venedig-Mestre stellt die Brenner-Bahnstrecke die kürzere Verbindung dar, die um rund 40 km kürzer ist als die Tauernstrecke (siehe Tab.1). Da jedoch Triest im Vergleich zu Venedig-Mestre der bedeutendere Hafen ist, bildet der Schienenweg über die Tauern für den Güterverkehr von Süddeutschland zur Adria die gegenüber der Brennerstrecke wesentlich wichtigere Route.

Die beschriebenen Abkürzungseffekte, von denen der Schienenweg Ulm - Turin den größten Nutzen hat, da sich in diesem Fall die Länge des Transportweges nahezu halbiert, bewirken eine entsprechende Verkürzung der Fahrzeit und zugleich eine Reduktion der Frachtkosten. Der Transport auf der Schiene erhält deshalb zwischen Süddeutschland und dem Wirtschaftszentrum Italiens gegenüber dem Lkw auf der umwegigen Strecke via Brenner einen Konkurrenz-Vorteil. Somit besteht erstmals die realistische Chance, in den genannten Verbindungen einen Teil der Gütertransporte von der Straße auf die Schiene zu verlagern.

Die starken Streckenverkürzungen im Schienen-Güterverkehr zwischen Ulm, Nürnberg, Augsburg, München einerseits und Mailand, Turin, Genua andererseits schaffen für Versender und Empfänger einen wichtigen Anreiz, ihre Gütertransporte im kombinierten Ladungsverkehr abzuwickeln, statt auf der gesamten Distanz allein den Lkw zu verwenden. Da die Restriktionen für den Lkw-Transit durch die Schweiz vermutlich auch in den nächsten Jahrzehnten fortdauern werden, liegt es nahe, nördlich von Lindau zukünftig Lkws, Lkw-Anhänger oder per Lkw beförderte Container auf Güterzüge zu verladen, um diese auf der nördlichen Zulaufstrecke durch die Schweiz zum Gotthard-Basistunnel und weiter in den Raum Mailand zu transportieren. Gegenüber dem Lkw, der auf der Inntal-Brenner-Autobahn einen großen Umweg macht, ergibt sich ein deutlicher Zeitgewinn, selbst unter Berücksichtigung des Zeitaufwandes für den Umschlag der Lkws und Container von der Straße auf die Schiene und umgekehrt.

Der Ausbau der Bahnstrecken von Ulm, Augsburg und München in die Zentralschweiz mit Nutzung des Gotthard-Basistunnels trägt somit zusammen mit der bereits weitgehend ausgebauten Tauern-Bahnstrecke zur Entlastung des Inntals bei.


Entlastungsroute für das bayerische Inntal im LKW-Verkehr

Der Lkw-Verkehr, der insbesondere im bayerischen Inntal zu den genannten Belastungen führt, hat zu einem nennenswerten Anteil seinen Start- oder Zielpunkt in Tirol selbst und benutzt somit gar nicht die Autobahn südlich Innsbruck über den Brenner: Während 2004 im Tagesdurchschnitt an der Zählstelle Kufstein Autobahn 7.261 Lkws erfaßt wurden, passierten nur 5.428 Lkws die Zählstelle am Brenner.[Amt der Tiroler Landesregierung, Abt. Verkehrsplanung: Verkehr in Tirol, Bericht 2004, Anlage 3/A] Das heißt, daß ungefähr 25% der Lkws, die bei Kufstein gezählt werden, ihre Fahrt bereits in Tirol beenden bzw. erst hier beginnen. Für diesen Verkehr ist der geplante Brenner-Basistunnel somit vollkommen irrelevant. Unter dieser Perspektive allein gibt es für das Inntal langfristig kein Entrinnen von den Belastungen durch den immer weiter ansteigenden Straßen-Güterverkehr. Doch für den Großteil der Lkws, die bisher auf der Achse zwischen München, Rosenheim und Innsbruck unterwegs sind, wie auch für den Transitverkehr Deutschland - Italien, ist eine kürzere Route München - Garmisch - Innsbruck möglich.

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Diese neue Entlastungs-Strecke für das Inntal existiert bereits weitgehend. Es handelt sich hierbei um die Autobahn A99 (Autobahnring München), die A95 von München in Richtung Garmisch-Partenkirchen, die 4-spurige Umfahrung Farchant, die B2 als 2-spurige Schnellstraße von Garmisch-Partenkirchen bis zur Grenze bei Scharnitz und die österreichische B177 zwischen Scharnitz und Seefeld in Tirol (siehe Abb. 8). Diese Verbindung als Autobahn bzw. kreuzungsfreie Schnellstraße weist lediglich noch einige relativ kurze Lücken auf:

Um diese Lücken zu schließen, deren Gesamtlänge rund 30 km beträgt, werden Investitionen benötigt, die vermutlich in der Größenordnung von 800 Mio EUR liegen. Mit diesem Betrag, der nur ein Sechstel so groß ist wie die Baukosten des 55 km langen Brenner-Basistunnels, wird ein neuer Verkehrsweg von rund 135 km Länge geschaffen, der für den Lkw-Verkehr zusätzlich zur heutigen Inntal-Strecke eine zweite, mindestens gleichwertige Route zwischen München und Innsbruck darstellt. Dadurch kann sowohl der großräumige Transitverkehr Deutschland - Italien als auch der relativ kleinräumige Verkehr von und nach Tirol auf zwei Verkehrsachsen aufgespalten werden, während er sich bisher allein auf das Inntal konzentriert.

Diese neue LKW-Route verkürzt die Fahrtstrecke aus Richtung Augsburg ab dem Autobahndreieck München-Eschenried bis zum Beginn der Brenner-Autobahn bei Innsbruck um rund 50 km. Ab dem Autobahnkreuz München Nord und somit aus Richtung Nürnberg - Ingolstadt wird die Entfernung immerhin um rund 25 km kürzer als über Rosenheim - Kufstein - Innsbruck. Durch diese Streckenverkürzung wird nicht nur die Fahrzeit verringert, sondern auch die zu bezahlende Lkw-Maut reduziert. Ähnlich schwer wie die reine Streckenverkürzung wiegt die Tatsache, daß die Fahrt über mehrere staugefährdete Abschnitte entfällt, nämlich über den Autobahnring A99 im Münchner Osten, die A8 südlich des Autobahnkreuzes München Süd, die A8 am Irschenberg und die A8/A93 am Inntaldreieck bei Rosenheim.

Aufgrund der Zeitersparnis durch die kürzere Streckenlänge und die geringere Gefahr von Staus sowie durch Kosteneinsparung aufgrund niedrigerer Mautbeträge entsteht für LKW-Fahrer ein starker Anreiz, anstelle der Umwegstrecke durch das dicht besiedelte bayerische und österreichische Inntal die kürzere Route über Garmisch-Partenkirchen zu benutzen. Vor allem wird ein Großteil des Lkw-Transitverkehrs Süddeutschland - Norditalien, sofern er nicht durch den Schienenverkehr via Gotthard-Basistunnel ersetzt wird, die beschriebene Abkürzungsroute wählen.

Dennoch wird entlang des neuen Lkw-Korridors (A99, A95, B2 neu, B177 neu) die hier wohnende Bevölkerung nicht neu belastet. Denn hier verläuft die Autobahn bzw. die 2-spurige Schnellstraße, anders als im Inntal, abseits der Wohnbebauung und führt meist über Hochebenen oder Höhenrücken; überall dort, wo sonst Ortschaften in Tallage berührt würden (Oberau, Farchant, Garmisch-Partenkirchen, Scharnitz, Seefeld), sind Tunnels bereits vorhanden oder in der Planung oder werden hiermit vorgeschlagen.

Der gesamte Verlagerungseffekt weg von der Inntal-Autobahn und hin sowohl zur Gotthard-Eisenbahn als auch zur A95 kann zwar ohne eine aufwendige Verkehrsprognose nicht beziffert werden, aber die Reduktion der Lkw-Zahl im Inntal dürfte durchaus in der Größenordnung von 30 bis 50% liegen. Das heißt, daß im Jahr 2004 anstatt der gezählten rund 7.200 Lkws pro Tag durchschnittlich nur ca. 3.600 bis 5.000 Lkws täglich die Zählstelle Kufstein passiert hätten, also rund 2.200 bis 3.600 Lkws weniger, wenn der neue Gotthard-Tunnel mit den beschriebenen Eisenbahn-Zulaufstrecken sowie die direkte Autobahn-/Schnellstraßen-Verbindung über Garmisch-Partenkirchen bereits existieren würden.


Zusammenfassung

Lösung für die wachsenden Verkehrsprobleme im Inntal dringend erforderlich

Auf der Autobahn München - Rosenheim - Innsbruck - Brenner - Verona wächst der Verkehr ständig an, vor allem der Straßen-Güterverkehr, der im Jahr 2004 schon bei 2,7 Mio Lkws lag und dessen Steigerungsrate innerhalb von weniger als 10 Jahren rund 80% beträgt. Dies führt in den dicht besiedelten und touristisch stark genutzten Tälern entlang der Inntal-Brenner-Autobahn zu wachsenden Belästigungen und Umweltbeeinträchtigungen.

Aus-/Neubau der Brenner-Eisenbahn-Achse als Lösung ungeeignet

Als Lösung dieser Probleme wird auf politischer Ebene schon seit rund 20 Jahren der Ausbau bzw. Neubau der Brenner-Eisenbahn-Achse von München bis Verona diskutiert, wobei der 55 km lange Brenner-Basistunnel zwischen Innsbruck und Franzensfeste das Herzstück bilden soll. Mit Hilfe dieses Schienen-Projekts wird erhofft, den Nord-Süd-Güterverkehr von der Inntal-Brenner-Autobahn weg auf die Eisenbahn zu verlagern. Doch der Brenner-Basistunnel ist hierfür aus mehreren Gründen ungeeignet.

Im Güterverkehr auf der Straße zwischen Süddeutschland und Norditalien dominiert zwar der Weg über den Brenner mit einer Transportmenge, die bei mehr als 30 Mio t pro Jahr liegt und somit gut 3-mal so hoch wie am Gotthard und gut 2-mal so hoch wie auf der Tauernroute ist. Die Brenner-Route bildet für die wichtige Verbindung von Süddeutschland (insbesondere Nürnberg, Stuttgart, Ulm, Augsburg, München) in das italienische Wirtschaftszentrum Mailand/Turin/Genua einen großen Umweg und ist nur für den Güterverkehr mit Bologna, Venedig-Mestre und Verona relevant. Der Umwegverkehr via Brenner kommt vor allem dadurch zustande, daß die Lkws auf der Direktroute durch die Schweiz von Behinderungen und Restriktionen (Lücken bzw. Engpässe im Autobahnnetz (siehe Abb. 3), hohe Lkw-Maut, relativ hohe Preise für Dieselkraftstoff) betroffen sind und deshalb großenteils die Schweiz umfahren.

Prinzipiell kann durch den Brenner-Basistunnel eine Entlastung der Autobahn vom ständig steigenden Lkw-Verkehr gar nicht stattfinden, da die neue Eisenbahn-Trasse bestenfalls die weiteren Zuwachsraten auf der Autobahn abmildern könnte und ihre Kapazität durch den Mischverkehr von langsamen Güterzügen und schnellen ICE-Zügen stark herabsetzt ist. Eine Verminderung des Lkw-Verkehrs auf der Autobahn wird dadurch nicht erreicht.

Fertigstellung der neuen Brenner-Eisenbahn-Achse erst nach 2030

Die Inbetriebnahme der neuen Brenner-Eisenbahn München - Verona ist, realistisch betrachtet erst nach 2030 möglich. Unter Berücksichtigung der Erfahrungen, die beim Bau des Seikan-Tunnels und des Gotthard-Basistunnels gewonnen wurden, ist mit der Eröffnung des Brenner-Basistunnels erst im Jahr 2029 zu rechnen (siehe Abb. 4), also 14 Jahre später als der zwischen Österreich und Italien deklarierte Zeitpunkt 2015. Die Fertigstellung der Zulaufstrecken zum Basistunnel mit zusätzlichen Tunnels auf rund 140 km Länge ist erst weit nach 2030 zu erwarten.

Aus-/Neubau der Unterinntal-Bahnstrecke kein erstes Teilstück der neuen Brenner-Eisenbahn-Achse

Anders als von Politikern und planenden Ingenieuren häufig behauptet wird, stellt der laufende bzw. teilweise bereits abgeschlossene 4-Gleis-Ausbau bzw. der Streckenneubau Innsbruck - Wörgl bzw. Kundl keineswegs das erste Teilstück der nördlichen Zulaufstrecke zum Brenner-Basistunnel dar, dem nun umgehend die Fortsetzung im deutschen Inntal folgen müsse. Vielmehr überlagern sich in diesem Unterinntal-Abschnitt insgesamt 3 Verkehrsströme (siehe Abb.5), so daß hier im Vergleich zu allen anderen Abschnitten eine besonders hohe Streckenkapazität benötigt wird:

(1) Nord-Süd-Fernverkehr München - Verona

(2) West-Ost-Fernverkehr Frankreich - Schweiz - Österreich - Tschechien, Ungarn, Balkan

(3) Personen-Nahverkehr des Großraumes Innsbruck, der zu einem S-Bahn-Betrieb ausgebaut werden soll.

Dagegen wird sich auf bayerischer Seite auch langfristig nur der Nord-Süd-Verkehr abspielen, für den die beiden vorhandenen Streckengleise ausreichen.

Ausbau der nördlichen Gotthard-Zulaufstrecke zur Verlagerung des Schienen-Güterverkehrs nach Mailand/Turin/Genua auf die Direktroute durch die Schweiz

Der im Bau schon weit fortgeschrittene Gotthard-Basistunnel zwischen Erstfeld und Biasca (Länge: 57 km) wird 2016 eröffnet werden. Dieser neue Tunnel soll am Gotthard eine Kapazitätsausweitung um 300 Güterzüge pro Tag ermöglichen, die es für den Güterverkehr zwischen Süddeutschland und Mailand/Turin/Genua zu nutzen gilt. Doch die Voraussetzung hierfür ist ein Ausbau der Zulaufstrecken von Ulm, Augsburg und München über Lindau bis zur Gotthard-Achse bei Rothkreuz, da diese Bahnstrecken aufgrund ihres unzureichenden Ausbaustandards (fehlende Elektrifizierung, fehlendes zweite Gleis) von Güterzügen bislang kaum benutzt werden (siehe Abb. 6). Die Bahnstrecken von Ulm und München zum Bodensee sind ohnedies als "Internationale Vorhaben" Bestandteile des deutschen Bundesverkehrswegeplans 2003; auf Schweizer Seite ist die Bahnstrecke von St. Gallen bis zum Zuger See schon seit 1991 ein Projekt zur "Integration der Ostschweiz in das Konzept der schweizerischen Alpentransversale".

Im einzelnen sind zur Ertüchtigung der Gotthard-Zulaufstrecken folgende Baumaßnahmen erforderlich (siehe Abb. 7):

Alle Ausbau-Abschnitte ab Ulm, Augsburg und München bis zur Gotthard-Route haben zusammen eine Länge von ungefähr 400 km. Für diesen Ausbau sind insgesamt rund 1,6 Mrd EUR aufzuwenden - weniger als ein Drittel der Baukosten des Brenner-Basistunnels und weniger als ein Zehntel der Gesamtkosten der neuen Eisenbahn-Trasse München - Verona.

Abkürzungseffekte gegenüber Brenner-Achse

Mit der ausgebauten nördlichen Gotthard-Zulaufstrecke und dem Gotthard-Basistunnel verkürzt sich die Distanz für den Güterzug-Verkehr ab München zum norditalienischen Industriedreieck Mailand/Turin/Genua gegenüber der Brennerstrecke um rund 40 km bis 230 km; ab Augsburg beträgt der Abkürzungseffekt rund 130 km bis 320 km, was auch für Nürnberg/Fürth/Erlangen gilt; ab Ulm wird die Strecke sogar um 250 km bis 440 km kürzer, also nahezu einer Halbierung der Entfernung im Vergleich zur Brenner-Achse (siehe Tab. 1).

Ab München, Augsburg und Ulm ist der Schienenweg bis zur Hafenstadt Triest über die weitgehend ausgebaute Tauern-Eisenbahnachse (via Salzburg - Villach - Udine) um rund 160 km kürzer als über den Brenner. Lediglich nach Venedig-Mestre stellt die Brenner-Bahnstrecke die kürzere Verbindung dar, die um rund 40 km kürzer ist als die Tauernstrecke (siehe Tab. 1). Doch die Transporte nach und von Venedig-Mestre haben keine so große Bedeutung wie die Warenströme zum und vom wichtigen Seehafen Triest.

Durch diese drastische Verkürzung der Transportwege bei Nutzung der Gotthard-Route incl. nördlicher Zulaufstrecke sowie der Tauern-Bahnlinie anstelle der Fahrt über den Brenner reduzieren sich Fahrzeit und Frachtkosten deutlich. Dadurch wird der Transport auf der Schiene zwischen Süddeutschland und dem Wirtschaftszentrum Italiens bzw. dem Hafen Triest im Vergleich zum Lkw auf der Umwegstrecke via Brenner konkurrenzfähiger, so daß ein Teil der Gütertransporte tatsächlich von der Straße auf die Schiene verlagert werden kann.

Entlastungsroute über Garmisch-Partenkirchen im LKW-Verkehr zur Aufteilung des Autobahnverkehrs München - Innsbruck

Für den Großteil der Lkws auf der Inntal-Autobahn zwischen München und Innsbruck existiert theoretisch eine Alternativ-Route, die derzeit noch einige Lücken aufweist, so daß sie in der Praxis für den Lkw-Verkehr noch nicht nutzbar ist. Es handelt sich hierbei um die Autobahn A95 von München in Richtung Garmisch-Partenkirchen. Um eine durchgängige Verbindung als Autobahn bzw. kreuzungsfreie Schnellstraße von den Autobahnen A8 (Stuttgart - Augsburg - München) und A9 (Nürnberg - Ingolstadt - München) herzustellen, sind folgende Baumaßnahmen zu realisieren (siehe Abb. 8):

Diese Baumaßnahmen schließen Lücken von ungefähr 30 km Länge und erfordern Investitionen in der Größenordnung von 800 Mio EUR. Die dadurch geschaffene zweite Route zwischen München, Garmisch und Innsbruck für den Lkw-Verkehr verkürzt die Fahrtstrecke gegenüber der Inntal-Autobahn aus Richtung Ulm - Augsburg um rund 50 km und aus Richtung Nürnberg - Ingolstadt immerhin um rund 25 km. Hierbei wird nicht nur die Fahrzeit, sondern auch die zu bezahlende Lkw-Maut verringert, und es entfällt auch die Fahrt über mehrere staugefährdete Abschnitte, nämlich den Autobahnring A99 im Münchner Osten, die A8 südlich des Autobahnkreuzes München Süd, die A8 am Irschenberg und die A8/A93 am Inntaldreieck bei Rosenheim, so daß sich über den reinen Abkürzungseffekt hinaus eine weitere Zeitersparnis ergibt. Durch die Aufteilung des Nord-Süd-Lkw-Verkehrs auf die beiden Routen über Garmisch-Partenkirchen und Rosenheim und durch die teilweise Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene mit Hilfe der neuen Gotthard-Bahnstrecke ist mit einem Entlastungseffekt von 30 bis 50% (2000 bis 3600 Lkw pro Tag) zu rechnen.

Ausbau der Zulaufstrecken von Bayern zum Gotthard-Basistunnel und Lkw-Entlastungsroute über Garmisch-Partenkirchen haben geringere Baukosten und größeren Nutzen als der Ausbau der Brenner-Eisenbahnachse

Die Summe der Investitionen für alle vorgeschlagenen Baumaßnahmen bei Schiene und Straße beläuft sich auf ungefähr 2,4 Mrd EUR. Dieser Betrag ist weniger als die Hälfte dessen, was allein der Bau des lediglich 55 km langen Brenner-Basistunnels erfordert, und weniger als ein Siebtel der Kosten, die für den Gesamtausbau der Eisenbahn-Achse München - Verona aufzuwenden sind. Doch der Nutzen der ausgebauten Gotthard-Zulaufstrecke für die Schiene und die Lückenschlüsse zwischen München, Garmisch und Innsbruck für die Straße ist um ein Vielfaches größer als der Nutzen, der durch den Ausbau bzw. Neubau der gesamten Brenner-Eisenbahn erzielbar sein könnte. Mit der Ertüchtigung der Eisenbahn-Zulaufstrecken zum neuen Gotthard-Basistunnel und der Komplettierung der Autobahn-/Schnellstraßen-Verbindung zwischen München und Innsbruck auf direktem Wege über Garmisch-Partenkirchen wird eine Aufteilung der Verkehrsströme auf mehrere Routen erreicht.